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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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PROLOG: DER MEISTER
    Die Vampirin näherte sich mit gesenkten Lidern, und doch war ihr, als könne sie jede Einzelheit seiner machtvollen Gestalt sehen. Ein Schauder rann durch ihren Leib, als sein Blick über sie strich. Nein, er strich nicht nur über sie hinweg, blieb nicht an Spitzen, Taft und Tüll hängen. Er drang tief in sie ein und hätte ihre Seele entblößt, wenn sie eine besessen hätte. Er las ihre Gedanken und glitt durch ihre rasch wechselnden Gefühle. Es war wunderbar und schrecklich zugleich, so nackt vor ihm zu stehen.
    »Was hast du mir zu berichten?«, fragte er, obwohl er die Antwort längst in ihrem zitternden Gemüt gelesen haben musste.
    Sie verbeugte sich noch einmal tief und wagte noch immer nicht, den Blick zu heben. »Meister«, sagte sie mit bebender Stimme, »der Stein ist vernichtet.«
    »Vernichtet? Man kann den cloch adhair, das Herz Irlands, nicht zerstören!«
    Es ärgerte sie, dass sie sich so ungeschickt ausdrückte und ihm dadurch Gelegenheit gab, sie zu korrigieren, statt sie mit Lob zu überschütten.
    »Zerstören konnte ich ihn nicht«, gab die Vampirin missmutig zu, »aber das ist auch nicht wichtig. Entscheidend ist, dass er für die Lycana nicht mehr erreichbar ist. Ich habe dafür gesorgt, dass er nun für alle Zeiten auf dem Grund des Lough Corrib ruht und Eure Pläne nicht mehr durchkreuzen kann.«
    Das Gefühl von Triumph flammte wieder so stark in ihr auf, dass sie die Lider hob und ihn ansah.
    Ganz gleich wie oft sie ihm begegnete oder ihn in ihren Träumen sah, überraschte sie doch jedes Mal die Woge von Größe und Macht, die ihn umgab und die ihr nun entgegenbrandete, als wollte sie die Vampirin verschlingen. Sie musste all ihre Kraft aufbieten, um
ihre Miene von kühlem Stolz zu wahren und nicht zurückzuweichen.
    »Ivy ist Euer! Tut mit ihr, was Ihr wollt. Greift sie Euch, löscht sie aus, vernichtet sie. Nichts wird Euch daran hindern können. Der uralte Schutzbann ist gebrochen.«
    Der Meister hatte gewonnen und nun war auch sie am Ziel ihrer Wünsche angelangt. Sie hatte ihm gut gedient. Die Belohnung war ihr sicher. Nun endlich würde er ihr die Hand reichen und sie mit sich nehmen. Sie würde die Fürstin an seiner Seite sein.
    Der Meister stand noch immer reglos da. Nur seine Augenbrauen hoben sich kaum merklich ein Stück und dennoch durchfuhr es die Vampirin heiß und kalt.
    »So? Bist du dir ganz sicher?«
    Natürlich hatte er wieder in ihren Gedanken gelesen. Wie leichtsinnig, ihre Wünsche Gestalt annehmen zu lassen. Doch warum nicht? Durfte sie jetzt nicht ihren Träumen freien Lauf lassen? Sie hatte ein Recht darauf. Sie hatte gesiegt!
    »So?«, sagte der Meister noch einmal, und es war, als klirrten Eissplitter zu Boden. »Dann ist es den Besitzern der Armreifen also nicht gelungen, den cloch adhair noch einmal zu berühren und die Kräfte aufzufrischen, ehe du den Stein im See versenkt hast?« Seine Stimme war schneidend. Die Vampirin starrte den Meister fassungslos an. Sie schluckte trocken. Ihr Hochgefühl fiel in sich zusammen und machte verzweifeltem Schrecken Platz.
    »Sie haben den Stein berührt, doch nur ganz kurz«, versuchte sie, sich zu verteidigen. Nun hätte sie den Blick gerne wieder von seiner furchtbaren Miene gelöst, doch er hielt ihn fest. Marterte sie, dass sie sich in innerer Qual wand.
    »Nur ganz kurz? Stell dich nicht dumm. Darauf kommt es nicht an. Ivy hat mit ihrem Armreif den Stein berührt und den Schutzbann erneuert. Sie ist für mich so unangreifbar wie zuvor.«
    »Ja, aber das war das letzte Mal«, winselte die Vampirin, die unter seinem Blick auf die Knie sank. »Jeder Tag, der verstreicht, wird den Schutzbann weiter schwächen. Und wenn sie Irland erst einmal verlässt, dann geht es ganz schnell. Was bedeutet Euch Zeit? Ihr werdet
sehen, in nur wenigen Monaten …« Sie konnte nicht weitersprechen. Sie fürchtete, sein Groll werde sie zu Boden drücken und zerquetschen.
    »Ja, Monate, wenn nicht Jahre! Warten und warten. Ich bin des Wartens überdrüssig!«, schrie er. Doch so unvermittelt, wie sein Zorn aufgelodert war, erlosch er wieder. Ein grimmiges Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Ja, was bedeutet mir Zeit, wenn nur kein Hindernis mehr zwischen mir und der Erfüllung meines Ziels steht. Steh auf!«
    Er krümmte seine langen, knochigen Finger, und die Vampirin erhob sich wie von unsichtbaren Fäden gezogen. Er ließ sich sogar dazu herab, ihren Einfall, den Stein im See zu versenken, gutzuheißen. Die

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