Opfer fliegen 1. Klasse
weiß vielleicht unsere Ebert-Adresse. Die
Kühnerts wohnen ganz in der Nähe. Wenn wir vorbeifahren, ist das intensiver als
ein Anruf. Und inzwischen ist Nadja sicherlich zu Hause. Sie sollte ja noch was
besorgen für ihre Mutter.“
„Es sei denn“, meinte Klößchen
und kaute aus vollen Backen, „Nadja wird schon wieder angebaggert von ihren
Typen Patrick und Kurti.“
„Die sind im Schwimmbad
geblieben“, sagte Karl.
Es war immer noch heiß, aber
der Nachmittag neigte sich. Die Jungs sahen erhitzt aus. Gaby hatte bei den
Viersteins geduscht und von Karls Mutter ein frisches, etwas zu großes T-Shirt
ausgeborgt. Es war tomatenrot — eine der wenigen Farben, die Gaby nicht stehen.
Tim fand trotzdem, seine Freundin sähe super aus, und die kessen Zöpfchen zogen
ohnehin den Blick auf sich. Da fiel das etwas lappige Leibchen kaum auf.
Sie radelten in die
Reisertroß-Straße, wo Nadja mit ihrer Mutter in einem Sechs-Familien-Haus
wohnte: unten links.
Im Vorgarten stritten sich
Amseln um einen angefaulten Apfel. Karl erklärte, diese häufige Vogelart gehöre
zu den Weichfressern und sei weniger an Körnern interessiert.
„Genau wie ich“, meinte
Klößchen, „im übrigen bin ich Allesfresser, und das garantiert mein Überleben.“
„Nur solange du nicht im
falschen Flugzeug sitzt“, sagte Karl.
Tim hatte geklingelt. Und
horchte zur Gegensprechanlage. Aber dort rührte sich nichts. Nadja hatte die
TKKGler durchs Fenster gesehen und kam an die Haustür.
Tim merkte sofort: Irgendwas
war passiert. Denn Nadjas frische Fröhlichkeit, die im Schwimmbad ihre Mimik
bestimmt hatte — trotz der Herzausschüttung gegenüber Gaby — diese Fröhlichkeit
war wie ausgelöscht. Das Mädchen wirkte erschüttert, und in den Wimpern hingen
noch zwei oder drei Tränen.
„Nadja!“ Gaby legte sofort die
Arme um sie. „Was ist los?“
„Ach!“ Nadja verzog das
Gesicht. „Wir haben eben die Nachricht erhalten. Von Frau Pryzbylla-Kosemund.
Das ist Onkel Armins — ich meine, Armin Leipels — Haushälterin. Von Leipel,
Gaby, habe ich dir vorhin im Schwimmbad erzählt. Er ist... er war Muttis Lover.
Und jetzt ist er tot. Ist gestorben. Eben. Vorhin. Also so vor einer Stunde
etwa. Frau Pryzbylla-Kosemund hat ihn gefunden. Herzversagen. Sein Herz war ja
krank. Aber er war doch erst 70.“
„Das... tut mir sehr leid“,
sagte Gaby und war echt betroffen.
„Uns auch“, sagten die Jungs.
Das ging aber schnell, dachte
Tim. Und damit wird ja diese heiße Geschichte voll aktuell. Wie war das noch?
Er werde, hat er gesagt, dafür sorgen, daß Nadjas Mutter alles erbt — auch
wenn’s zuerst nicht so aussähe. Und was wird seine Exfrau, das Mistweib, diese
Irene Flörchinger jetzt tun? Wie wir meinen, hat sie was gegen ihn in der Hand.
Aber kann sie ihn, der jetzt tot ist, immer noch damit erpressen?
„...hat Frau
Pryzbylla-Kosemund“, berichtete Nadja, „natürlich auch gleich die Ex angerufen.
Die Flörchinger. Für die, Gaby, sind wir ja Luft. Die Flörchinger haßt meine
Mutter. Wollt ihr reinkommen? Kommt doch rein! Vielleicht heitert das Mutti
etwas auf. Sie ist völlig verstört. Sie hat den Leipel sehr lieb gehabt. Echt.“
Tim wollte schon ablehnen, weil
er den Besuch jetzt nicht für angezeigt hielt. Aber Gaby, die gern Balsam auf
seelische Wunden streicht, war schon halb durch die Tür.
Susanne Kühnert lief in der
Drei-Zimmer-Wohnung umher wie eine eingesperrte Maus. Tränen rannen über das
schmale Gesicht. Sie nahm die mitfühlenden Worte entgegen und wurde von Gaby
umarmt. Die Jungs hielten sich zurück und zeigten ernste Mienen, obwohl sie den
Leipel nicht gekannt hatten und sich nur schwer hineindenken konnten in diesen
Trauerfall.
„Er war sozusagen mein
Lebensgefährte“, schluchzte Susanne. „Wir wollten heiraten. Er war zwar viel
älter als ich, aber trotzdem.“
Tim musterte Nadjas Mutter.
Susanne war etwa 36, hochgewachsen und schlank. Sie hatte dunkles Haar und
milchweiße Haut. Ein schmales Gesicht mit großen Augen. Für Armin Leipel war
sie sicherlich eine Traumfrau gewesen. Sie wirkte, als brauche sie ständig
Schutz und eine Schulter zum Anlehnen.
Keine Emanze, entschied Tim.
Eher der Typ Frau, für die ein Lover gern sorgt. Klar, daß er ihr was von
seinem Nachlaß vermachen will. Am liebsten alles, zumal wenn die Ex ein
Giftzahn ist.
„...ist schicksalhaft“, Susanne
betupfte sich die Augen. „Über den Leipels steht kein guter Stern. Ein Wunder,
daß auch Armin damals
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