Opfer fliegen 1. Klasse
Rotwild,
Pilzsammler und Holzdiebe.
„Was machen wir nun?“ fragte
Heike.
„Ich wüßte gern, wohin die
Forststraße führt.“
„Sicherlich immer tiefer ins
Waldgebiet.“
„Logo. Gefällte Baumriesen
werden ja nicht per Hand hierher gezerrt, sondern auf Langholzwagen abgefahren,
wozu es die Forststraßen braucht. Aber manche enden nach Kilometer-Länge
irgendwo mittendrin, haben als Endpunkt einen Wendeplatz, und weiter geht’s
dann nicht. Andere führen irgendwohin, münden jenseits des Waldes am Rande und
wären damit ideal zur Weiterflucht für die Ganoven.“
„Also fahren wir hinterher?“
„Wir müssen, Frau Heike. Wenn
wir sie jetzt aus den Augen verlieren, war alles umsonst.“
„Deinen Mut möchte ich haben“,
seufzte sie.
Tim überlegte. „Vielleicht
sollte ich allein weiterfahren, sonst ziehe ich Sie am Ende doch noch in
irgendwas rein.“
„Kannst du denn fahren?“
„Ich bin technisch begabt“,
grinste er. „Ich kriege jede Konservendose mit den Zähnen auf.“
„Aber du bist noch nicht 18?“
„Die paar Monate, die da fehlen.“
„Wie alt, Tim, bist du
wirklich?“
„Fast 15.“
„Ich würde mich strafbar
machen, wenn ich dich ans Steuer lasse.“
„Dann sind Sie ab jetzt auf
eigene Verantwortung dabei.“
„Hört sich gräßlich an. Aber
ich nehme allen Mut zusammen.“
Sie hatten die Einmündung der
Forststraße erreicht. Die Landstraße nach Bingweiler führte geradeaus, gesäumt
von juni-grünem Rasen, der aber beidseitig nur ein bis zwei Meter breit war.
Dann standen die Fichten dicht bei dicht, und die Strecke war in ihrem weiteren
Verlauf, wie Tim wußte, im Sommer schattig und kühl, rehsprung-gefährdet und
wegen ihrer langgestreckten Kurven beliebt bei Zweirad-Piloten.
Heike zog das Cabrio in die
Biegung zur Forststraße. Sie war sandig, uneben und breit genug für anderthalb
Fahrzeuge. Wollten zwei aneinander vorbei, mußte einer unter die Bäume
ausweichen. Stellenweise reichten sich lange, dicht benadelte Zweige quer über
die Straße die Spitzen. Auch jetzt, auf den ersten Metern, wurde das Cabrio
überdacht.
„Romantisch!“ meinte Heike,
aber ihre Stimme war kleiner geworden.
Tim spähte nach vorn.
Dort war freilich nur eine
Kurve zu sehen, dahinter noch eine, dann wieder eine — so ging’s weiter: in
dicht gestauchten Windungen, als wären die Straßenerbauer betrunken gewesen,
als sie die Schneise in den Wald rodeten. Die Fahrbahn buckelte sich zur Mitte
hin, fiel rechts und links etwas ab. Wer hier marschierte, mußte hinken, wenn
er nicht genau auf der Scheitellinie lief.
„Achtung!“ rief Tim zum zweiten
Mal.
Aber Heike bremste bereits.
Mitten auf der Fahrbahn lag
eine Kreuzotter, zusammengerollt, aber nur zum Teil. Die Schlange war tot, Kopf
und vorderer Teil des Schlangenleibes waren zerquetscht, breitgewalzt von
Kfz-Reifen. Frisches Blut. Es floß noch. Der Schwanz des geschützten Tieres,
eben noch zuckend, lag jetzt still.
„Dieses Gesindel!“ Tims Zähne
knirschten. „Sie müssen sie gesehen haben. Aber sie haben sie zermalmt. Ist ja
nur ein Tier. Noch dazu eins mit Giftzähnen. Diese Typen sind dieselben, die
Tauben vergiften oder verhungern lassen. Und ihre Haustiere aussetzen — oder
umbringen — , wenn der Urlaub ansteht und sie nicht wissen, wohin damit.“
„Mir wird übel.“
Heike war bleich geworden und
preßte die Lippen zusammen. Sie fuhr so vorsichtig über den Kadaver, daß er
nicht berührt wurde. Dann rollte der Wagen um die nächste Kurve.
Tim hatte seine Lauschantennen
nach vorn gerichtet. War da ein Motorengeräusch? Er hörte nichts. Hörte nur
Vogelstimmen im Wald, einen Airbus, der am Flughafen gestartet war und jetzt
westwärts an Höhe gewann, während die Passagiere sicherlich aufatmeten, weil
der Start wieder mal geglückt war.
Warum kenne ich diese Straße
nicht! dachte der TKKG-Häuptling. Ausgerechnet hier waren wir noch nie. Schiet!
Wissen Müller und Diepholz besser Bescheid? Wenn nicht, dann gehen sie ein
Risiko ein. Wenn’s eine Sackgasse ist, sitzen sie in der Falle. Aber vielleicht
wollen sie als Waldschrate untertauchen und benutzen den BMW nur zum Auftakt.
Heike war hier etwa einen
Kilometer gefahren. Am Verlauf der Forststraße änderte sich nichts. Aber der
Mischwald wurde dichter, und Büsche wucherten an den unbefestigten Rändern. Ab
und zu flog ein Eichelhäher, verhalten schimpfend, über die Fahrbahn.
Noch eine Minute, dachte Tim,
dann gebe ich Herrn Glockner
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