Opfer
Azubi angestellt hatte. Sie hat mir gesagt, Corrine und Samantha Lamb hätten sich an dem Samstagmorgen vor dem Salon gestritten.«
Sandras Blick wurde hart, und sie schüttelte den Kopf. »Sie wusste es, Paul. Edna wusste es.«
»Ward hat mir noch etwas erzählt«, setzte Gray fort. »Len ist gestern mit Alf Brown die alten Akten durchgegangen. Alf Brown ist vor fünf Jahren in Pension gegangen – aber er hat die Spurensicherung im Fall Woodrow geleitet. Eins hat mich schon immer an der offiziellen Tatortbeschreibung gestört. Bis heute dachte ich, wegen des Schocks hätte ich mich nicht mehr richtig erinnern können. Aber ich hab um Darren Moorcocks Leiche nie ein Pentagramm aus Blut gesehen.« Er klappte das Logbuch zu.
»Ruf ihn an«, drängte Sarah. »Ruf Ward an, bevor Rivett ihn auch noch kriegt.«
*
Smollet ging ins Gästebad und starrte sich im Spiegel an. Seine Haut wirkte fahl, und er hatte Krähenfüße, die vor ein paar Tagen noch nicht da gewesen waren. Seine jugendliche Verliebtheit war im Laufe der Ehejahre langsam ausgebrannt, aber bis zu diesem Montagmorgen war er sich sicher gewesen, dass er das Richtige getan hatte. Dass die Eheschließung nicht nur eine geschäftliche Transaktion gewesen war, die seinem Onkel einen Vorteil verschafft hatte – und ihm selbst natürlich.
Man hatte ihm gesagt, dass Samanthas Zusammenbruch von einem Streit mit ihrer Mutter ausgelöst worden war, der zu deren Fehlgeburt geführt hatte. Der Höhepunkt eines monatelangen Kleinkriegs der beiden. Deshalb war sie zurück nach London in eine Privatklinik geschickt und dann wieder in die Obhut ihres Vaters Malcolm übergeben worden. Als Smollet zu seiner Ausbildung nach Hendon kam, hatte Rivett veranlasst, dass sie ihre Beziehung fortsetzen konnten, die so abrupt unterbrochen worden war, kaum dass sie angefangen hatte. Zwei Jahre nach der Verlobung hatte Smollet Samantha in der Chelsea Town Hall geheiratet und sie als frischgebackener Police Constable wieder mit nach Ernemouth gebracht. Er hatte allen erzählt, er hätte sie in London kennengelernt. Das sei besser so, hatten sie ihm gesagt.
Damals hatte Smollet sie noch heiß und innig geliebt, auch wenn von dem Mädchen aus seiner Klasse nicht mehr viel übrig war. Er hatte verstanden, dass die Sterilisierung, die Kieferoperation und die anderen Eingriffe zu ihrem Besten gewesen waren, und sie hatten außerdem die perfekte Polizistenehefrau aus ihr gemacht. Für ihre kindliche Zerbrechlichkeit hatte er sie nur noch mehr geliebt, und sein Versprechen Eric gegenüber hatte nicht nur mit Rivetts Plänen und den Gegenleistungen zu tun, die er später wie vereinbart erhalten hatte.
Samantha sprach nie von der Zeit, als sie sich zum ersten Mal kennengelernt hatten, aber das erwartete Smollet auch nicht – so wie er die medizinischen Fakten verstand, hatte sie vieles auslöschen müssen, damit sie gesund werden konnte. Manchmal erinnerte sie sich an ihre frühe Kindheit und vergaß oft, dass ihre Großmutter nicht mehr lebte. Eric erwähnte sie aber nie. In Rivetts Gegenwart fühlte sie sich immer sichtlich unwohl, als würde doch noch eine Erinnerung an ihn in einem düsteren Winkel ihres Gedächtnisses lauern.
Sie hatte sich nie wieder mit ihrer Mutter versöhnt. Amanda wohnte jetzt in Hertfordshire, war immer noch mit ihrem Toy Boy Wayne verheiratet und nahm als eine Art Buße ein Pflegekind nach dem anderen auf. Eric war 1989 – nicht lange nach der Hochzeit – an seinem zweiten Herzinfarkt gestorben. Er hatte die Hälfte von allem, was er besaß, Smollet hinterlassen, sofern er sich weiterhin um Samantha kümmerte.
Im Beruf war Smollet zügig aufgestiegen und hatte schließlich Rivetts alte Wache übernommen. Die langen Arbeitstage, seine regelmäßigen Fitnesscenterbesuche und sein sorgsam gepflegtes Ansehen in der Stadt waren ihm Kompensation genug für die Leerstellen in seiner Ehe, die mit den Jahren immer weiter klafften. Während seine Frau ihm immer fremder wurde und sich immer weiter in ihr Inneres zurückzog, kam Smollets Aussehen bei ähnlich frustrierten Frauen mittleren Alters gut an, denen etwas unverbindliche Aufmerksamkeit gut passte und die ihrer eigenen Ehe wegen sehr auf Diskretion achteten.
Er hatte sich mit diesem Schicksal angefreundet, bis Sean Ward in die Stadt gekommen war.
Smollet öffnete die Tür des Schränkchens, und sein unansehnliches Spiegelbild verschwand. Ihre üblichen Medikamente hatte er schon eingepackt, aber der Arzt
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