Opfer
Unterstützung.«
»Kein Problem.« Smollet lehnte sich vor, legte die Fingerspitzen aneinander und warf Rivett über Seans Kopf hinweg einen Blick zu. »Wir tun alles, was in unserer Macht liegt, um Ihnen zu helfen. Wir haben nichts zu verbergen.«
»Er hat uns eine Liste gegeben«, sagte Rivett und wedelte mit dem Ordner. »Die würd’ ich gerne unten mit dem Archiv abgleichen, wenn’s recht ist.«
»Für Sie habe ich auch noch einen Ausdruck, Sir.« Sean zog einen identischen Ordner aus der Aktentasche. »Damit wir alle auf dem gleichen Stand sind. Wenn Sie irgendwelche Anmerkungen haben …«
»Danke.« Smollet nahm den Ordner und legte ihn neben den Laptop. »Ich schaue mir das Ganze heute Nachmittag an und melde mich, wenn ich Fragen habe. Wir haben uns gedacht, Len geht erst mal mit Ihnen die alten Fallakten durch, er ist mit der Sache schließlich viel vertrauter als ich. Ich kann Sie nur noch mal herzlich in Ernemouth willkommen heißen. Sollten Sie mit irgendetwas nicht zufrieden sein« – wieder hob sich kurz sein Blick – »ganz egal was, sagen Sie einfach Bescheid. Hier sind meine Telefonnummern.« Er zog eine Visitenkarte vom Stapel neben der Briefablage. »Falls Sie sie noch nicht haben.«
»Danke, Sir«, erwiderte Sean und zog seine eigene Karte aus dem Portemonnaie.
»Und jetzt« – Smollet stand wieder auf – »übergebe ich Sie wieder in Lens fähige Hände.«
Er wirkte, als wäre ihm ein unangenehmer Geruch in die Nase gestiegen, der sich erst verziehen würde, wenn die beiden gegangen waren. Rivett sah es wohl ähnlich und ging zur Tür.
»Darf ich noch kurz nach dem Kollegen fragen, der damals die Festnahme durchgeführt hat?«, sagte Sean und blieb sitzen. »Paul Gray war der Name, glaube ich. Ist der noch in der Gegend?«
Smollet sah Rivett mit gerunzelter Stirn an.
Rivetts Gesichtsausdruck glich dem, mit dem er vorher sein Steak angesehen hatte. »Den müsst ich für Sie finden können. Ist nicht weggezogen. Kommen Sie?«
Sean sah sich nach Smollet um, dessen Blick noch kurz auf Rivett verharrte, bevor er Sean zunickte. Sean stand auf. Er spürte die Spannung zwischen den beiden und fragte sich, wer hier wirklich das Sagen hatte.
14
DER LETZTE SCHREI
Oktober 1983
Detective Sergeant Paul Gray sah sich durch die Türluke das Mädchen an, das er unter dem Pier aufgegriffen hatte. Sie blätterte ein Buch durch, las aber anscheinend nicht richtig. Dabei wippte sie unruhig mit dem linken Fuß, kaute angestrengt Kaugummi und schob sich immer wieder die zotteligen Strähnen aus den Augen. Wollte wohl hart wirken.
Sie war nicht ohne Widerstand mitgekommen – im Gegensatz zu dem alten Perversen, den er beschattet hatte. Wie so viele von seiner Sorte hatte er sofort angefangen zu heulen, als die Handschellen zugeschnappt waren, und auch während des Verhörs war er fügsam geblieben. Jetzt schniefte er am Ende des Zellenblocks und wartete auf seine Fahrt zum Magistrates’ Court am nächsten Morgen.
Das Mädchen hatte ihr korrektes Alter angegeben, fünfzehn, aber das war es dann auch mit der Kooperation. Sie hätte doch nichts gemacht, behauptete sie, war nur am Strand spazieren gegangen, sei das etwa verboten? Dummerweise besagten die Vorschriften, dass Schulkinder auf der Wache verwahrt werden mussten, bis ein Elternteil, Sozialarbeiter oder zuständiger Lehrer unterrichtet war. Als sie verstanden hatte, dass sie nicht einfach wieder gehen durfte, war sie ausgeflippt. Mit extremer Geduld hatte Gray ihr Namen und Adresse entlocken können – der Vorschlag des Schichtführers, dass sie ihr heißgeliebtes Buch mit in die Zelle nehmen durfte, hatte wohl auch geholfen.
Roy Mobbs war schon gut zwanzig Jahre länger dabei alsGray. Er meinte, der Name Woodrow komme ihm irgendwie bekannt vor. Als Gray ihm den Vornamen der Mutter sagen konnte, erinnerte er sich: Er schlug sich an die Stirn, griff zum Telefon und ließ sich vom Schuldirektor die Nummer von Corrines Sozialarbeiterin geben. Jetzt warteten sie auf Mrs Sheila Alcott.
Corrine merkte, dass sie beobachtet wurde, und sah von ihrem Buch auf.
»Willst du irgendwas?«, fragte Gray bemüht freundlich. »Tee? Kaffee?«
Sichtlich überrascht starrte sie ihn an. »Eine Tasse Tee, bitte«, beschloss sie.
Sie war sieben Jahre älter als Grays eigene Tochter.
»Milch und Zucker?«
Corrine nickte. »Zwei Stück Zucker, bitte. Haben Sie vielleicht auch ’n paar Kekse da?«
Gray brachte ihr das Ganze selbst in die Zelle. Der Vater
Weitere Kostenlose Bücher