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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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packte ihn die alte Begeisterung wieder wie einen Hund, der eine neue Fährte erschnüffelt hat. Diese Gesichter waren seine erste handfeste Spur in die Vergangenheit. Er nahm das Foto des Punks und hörte Farman sagen: »D as alte Schild war ein bisschen kitschig, also hat Bully ein besseres gemacht … «
    Der junge Bully sah Travis Bickle unheimlich ähnlich, was sich auch im späteren Leben nicht änderte.
    Rivett hatte die Akten von allen Leuten auf Seans Liste gefunden. Aber so sehr Sean auch suchte, konnte er auf keinem der Bilder die eine Person finden, die er mit voller Überzeugung erwartet hatte: das Mädchen mit der Tätowierung auf der Hand. Wo bist du? , dachte Sean. Wo bist du?
    Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und öffnete sein E-Mail-Postfach. Er hatte eine Mail von Francesca, von einer privaten Hotmail-Adresse aus gesendet, statt von der Arbeit, in der sie ihm mitteilte, dass sie eine Sozialarbeiterin im Ruhestand gefunden habe, die einmal Corrine betreut hatte. Sie wollte sie mal besuchen fahren.
    Sean schloss die E-Mail und drehte sich auf dem Stuhl um. Hier unten im Keller war man in einer ganz anderen Welt als in Smollets moderner Wache darüber. Alf Brown, der von einem Stahl-Plexiglas-Verschlag aus die Archive verwaltete, war ein weiterer alter Knacker, der mit seiner Glatze, seinem hängenden Schnurrbart und dem Bleistiftstummel hinter dem Ohr wohl kurz vor der Pensionierung stand.
    Der Rest des Raums war mit Korkstellwänden unterteilt, an denen alte, vergilbte, gewellte Poster vergangener Verbrechenspräventionskampagnen hingen. Die Überbleibsel des alten Besprechungsraums, dachte Sean. Auf den Schreibtischen standen Kartons voller Akten, die auf ihre Archivierung warteten, aber nur ein junger Constable tippte mit gesenktem Kopf fleißig vor sich hin.
    Sean gegenüber saß Rivett an einem vorsintflutlichen Apple Mac, der fast größer war als der Tisch, auf dem er stand. Rivett tippte hin und wieder auf eine Taste und ließ den Blick am Bildschirm auf und ab gleiten. Irgendwo in Alfs Aktenschrankkammer spielte ein altes Transistorradio Radio 3 und verlieh der ganzen Angelegenheit durch klassische Musik einen gewissen Beerdigungs-Charme.
    Sean fragte sich, ob es hier immer so leise war, oder ob für seinen Besuch eine Ausnahme gemacht worden war.
    »Len«, sagte er.
    Rivett drehte den Kopf. »Ja, Detective?«
    »Sie hatten gesagt, Sie könnten mir die Telefonnummer von Paul Gray besorgen …«
    Rivett zog eine Augenbraue hoch. »Stimmt. Sekunde.«
    Er nahm den Hörer des Schreibtischtelefons, drückte eine Taste und sagte: »Hallo, Jan, hier ist Len. Kannst du mir grad mal die Nummer von Paul Gray raussuchen? Ja, genau. Danke.« Er kritzelte etwas auf ein Post-it.
    »Bitte schön«, Rivett hielt den Zettel hoch, ohne aufzustehen, so dass Sean ihn sich abholen musste.
    »Ist in der Nähe«, erklärte Rivett. »Sandringham Avenue. Oben Richtung North Denes.«
    »Danke«, sagte Sean, setzte sich wieder hin und wählte die Nummer. Er hatte Glück. Nach dem dritten Klingeln meldete sich eine Männerstimme, die fröhlich die Telefonnummer wiederholte und dann »hallo« sagte.
    »Hallo, spreche ich mit Paul Gray?«, fragte Sean und behielt Rivett dabei im Blick. Der Alte drehte sich lässig mit seinem Stuhl hin und her.
    »Wer ist da, bitte?«, die Stimme war immer noch freundlich, aber jetzt ein bisschen vorsichtiger.
    »Mein Name ist Sean Ward, ich bin Privatdetektiv und untersuche einen Fall, an dem Sie mal gearbeitet haben. Ich wollte fragen, ob ich Ihnen mal ein paar Fragen stellen darf.«
    »Ach«, er wirkte überrascht. »Um welchen Fall geht’s denn?«
    »Den haben Sie sicher nicht vergessen«, erwiderte Sean,während Rivett sich wieder seinem Bildschirm zuwandte und allem Anschein nach seine Suche fortsetzte. »Corrine Woodrow, Sommer 1984.«
    Am anderen Ende blieb es eine Weile still. Rivett kniff die Augen zusammen, als würde er etwas Interessantes lesen.
    »Ach Gott«, sagte Paul Gray schließlich. »Wieso wollen Sie die Sache denn wieder aufrollen?«
    Sean erzählte ihm, wie vorher schon Rivett, von Janice Mathers und den neuen DNA-Analysen.
    »Verstehe«, erwiderte Gray. Wieder eine lange Pause. »Len Rivett weiß Bescheid, ja?«
    Für ihn war Rivett wohl immer noch Chef der Wache.
    »Von ihm habe ich Ihre Nummer.«
    Gray seufzte. »Alles klar. Verstehe.« Jede Spur von Humor war aus seiner Stimme gewichen.
    »Tja, wie gesagt, ich würde mich gerne mal mit Ihnen darüber

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