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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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pommesbeladenen Gabel.
    »Ich habe eine Liste der Zeugen von damals zusammengestellt, mit denen ich gerne sprechen würde«, erklärte Sean und schnitt sein Steak an. »Wenn Sie mir dabei helfen könnten, die aufzuspüren, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Und wenn Sie meinen, dass irgendwer anders infrage käme, würde mich das auch interessieren.«
    »In Ordnung.« Rivett spießte einen Pilz auf und begutachtete ihn wie einen Verdächtigen. »Machen Sie sich mal keine Sorgen über mein Gedächtnis. Ich brauche keine Microchips, um das in Ordnung zu halten. Mir schweben da schon ein paar Gesichter vor. Keine allzu freundlichen, aber das ist bei Miss Woodrows Freundeskreis ja auch nicht zu erwarten.«
    Sean bearbeitete sein Steak. Es war riesig, aber seltsam fad. Er hätte mittlerweile einen Riesenhunger haben müssen, das Frühstück, ein bisschen Toast und Kaffee, war schon lange her. Aber aus irgendeinem Grund hatte er einfach keinen Appetit.
    »Was ist denn aus der Mutter geworden?«, fragte Sean.
    »Eigentlich das Nächstliegende«, erwiderte Rivett, der seinen Teller fast leergegessen hatte. »Konnte natürlich nicht mehr hier bleiben, was hart gewesen sein muss, weil sie ein Junkie mit guten Verbindungen zum lokalen Drogenpack war. Nach dem Brandanschlag auf ihr Haus ist sie nach Norwich gezogen, wo sie weiter ihr Gewerbe betrieben hat.« Er schaute auf Seans Teller. »Bis sie eines Nachts an einen Kerl geriet, der etwas dagegen hatte, dass sie sich ihr Einkommen mit Diebstahl aufbesserte, und sie mit einem Montiereisen totprügelte. Nicht, dass ich das bei ihr erwartet hätte. Sie hatte sonst immer andere für sich die Drecksarbeit machen lassen, meistens Motorradliebhaber aus der Gegend. Aber am Ende hielten nicht mal die zu ihr. Was ist denn, Junge, keinen Hunger?«
    »Ich weiß auch nicht«, erwiderte Sean. »Es ist sehr gut, aber …«
    »Darf ich eben …?« Rivett stieß seine Gabel in die Pommes frites. »Wollen ja nichts verkommen lassen.«
    Sean schaffte noch einige Bissen Steak und ein paar Pilze, während sein Gegenüber seinen restlichen Teller leerte.
    »Alles klar.« Rivett wischte sich mit der Serviette den Mund ab. »Ich hab mit dem neuen Chef geredet, und er stellt uns die alten Akten zur Verfügung. Ich würde sagen, wir gehen jetzt mal auf die Wache, machen Sie miteinander bekannt und gucken mal, was wir herauskriegen.« Er gestikulierte wieder nach dem Kellner. »Setz das auf meine Rechnung, ja, Terry?« Er zog fünf Pfund Trinkgeld aus dem Portemonnaie. »Und das ist für dich. Außer natürlich« – er wandte sich wieder Sean zu … »Sie möchten doch noch etwas.«
    »Danke«, erwiderte Sean, »ich bin satt.«
    Sein Magen war da anderer Meinung.
    *
    Die Polizeiwache von Ernemouth lag nordwestlich hinter dem Marktplatz. Marineblaue Buchstaben an der Fassade im erstenStock verrieten den Wahlspruch der Norfolk Constabulary: Working for You . Die Automatiktür öffnete sich zischend, und Rivett ging voraus in den offenen Eingangsbereich, wo ein junges Milchgesicht Seans Namen notierte und ihm eine Besucherkarte gab. Dann fuhren sie mit dem Aufzug hinauf zum Büro von Detective Chief Inspector Smollet.
    »Er ist der jüngste DCI, den wir je hatten«, erklärte Rivett. »Zur Zeit der Ereignisse war er noch ein kleiner Junge. Aber mit den ganzen Computern heutzutage kommen die viel schneller die Karriereleiter hoch.«
    Er klopfte an und öffnete die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Sean erkannte mit einem Blick den Grund für den verächtlichen Unterton der letzten Bemerkung. Rivetts Nachfolger stand für das absolute Gegenteil der alten Garde. Er wirkte sauber, adrett und rauchfrei. Sein Büro verströmte Ikea-Minimalismus. Ablaufpläne an der Wand hinter ihm, vor ihm ein Laptop und zu seiner Rechten ein PC. Auf dem Schreibtisch stand ein gerahmtes Foto von seiner Frau, und als er aufstand und die gepflegte Hand ausstreckte, roch es stark nach Eau-de-Toilette.
    Smollets Gesicht war braungebrannt und nichtssagend attraktiv. Er lächelte und musterte Seans Lederjacke und Cashmere-Pullover mit Kennerblick.
    »Mr Ward«, sagte er. »Sie waren bei der Met, richtig?«
    Sean nickte. »Richtig.«
    »Alles klar.« Smollet setzte sich wieder und bedeutete den beiden, auch Platz zu nehmen. Sean nahm den Stuhl vor sich, aber Rivett blieb stehen. »Len hat mir schon von Ihnen erzählt. Hat er sich gut um Sie gekümmert?«
    »Sehr gut«, erwiderte Sean. »Ich bin Ihnen beiden sehr dankbar für die

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