Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
nicht da, um sie aus dieser Situation zu befreien? War es Nick gleichgültig gewesen, dass sie nicht erschienen war? Das konnte sie sich kaum vorstellen.
Sie dachte wieder über den Fall nach. Paula Trizzi hatte Rache genommen. An ihren vier Peinigern. Sie hatte sie in der Grube schmoren lassen, wie auch sie selbst damals einsam und in der Dunkelheit liegen gelassen worden war. Aber warum ausgerechnet jetzt? Das war Margot nicht klar. Schließlich war Paula alias Judith schon seit sechs Jahren wieder hier in Deutschland. Margot war sich sicher, dass der Zeitpunkt irgendwie mit Ruth Steiners Vortrag zusammenhing. Die hatte vielleicht Wölzer wiedererkannt und Paula Trizzi davon erzählt. Aber was war mit Wölzer geschehen? Der war nicht umgebracht worden. Der war an Herzversagen gestorben. Da machte es klick. Wölzers Herz war ja schon zuvor geschädigt gewesen. Und dann hatte Judith Reichenberg den Taser abgeschossen. Margot war mal bei einer Fortbildung gewesen, wo sie das am lebenden Objekt demonstriert hatten. Aus der Taserpistole schossen die Drähte, die Elektronen durchdrangen mit ihren Widerhaken die Kleidung und steckten in der Haut – und der Kerl war zu Boden gegangen und hatte sekundenlang nur gezuckt. Und Wölzer hatte ja schon Herzinfarkte hinter sich gehabt, hatte Bluthochdruck, war vorbelastet. Da konnte so ein Gerät im schlimmsten Fall Kammerflimmern verursachen. Und einen Taser als Ursache, das konnte dann kaum jemand nachweisen. Besonders, wenn die winzigen Wunden durch den Taser nicht in unmittelbarer Umgebung des Herzens lagen.
Wahrscheinlich hatte Judith Reichenberg also Wölzer auch in diese Opfergrube schmeißen wollen, nur war der gleich gestorben.
Margot streckte sich.
War der Gestank weniger geworden, oder nahm man ihn irgendwann einfach nicht mehr wahr? »Kaufmann – sind Sie auch wach?«
»Hmm«, brummte der.
»Ist hier unten was zu trinken?«
»Ja«, sagte Kaufmann. Sekunden später rollte eine Wasserflasche in Margots Richtung. »Ist die Einzige, die da ist.«
Margot widerstand der Versuchung, mehrere, tiefe Schlucke zu nehmen. Auf der einen Seite, um sich das Wasser einzuteilen. Aber auch, um sich eine mögliche erneute Hilfstoiletten-Situation zu ersparen. Es wurde wirklich Zeit, dass die Kollegen auftauchten. Sie war weg, ihr Auto war weg – wie deutlich musste der Hinweis denn sein, dass sie in Gefahr schwebte?
»Wie kam es dazu, dass Sie sich alle in der Studentenverbindung wiedergetroffen haben?«, fragte sie Kaufmann, auch um sich etwas abzulenken.
»Wir haben den Kontakt nie abreißen lassen. Haben uns immer wieder mal getroffen. Hat funktioniert, auch ohne Facebook und E-Mail. Ich bin ausgemustert worden. Habe eine schwere Allergie gegen Bienen- und Wespenstiche – da haben die mich nicht gebrauchen können. Oder wollen. Auf jeden Fall habe ich nach dem Abi angefangen zu studieren. Ich wollte nicht zu Hause wohnen, konnte mir aber kein teures Zimmer leisten. So landete ich bei den Ludovicen. Tja, und dann kamen die anderen nach. Hier in Darmstadt konnte man ja damals schon viele Fächer studieren.«
Da war noch eine Frage, die Margot im Kopf herumspukte: »Sie haben vor sechs Jahren eingegriffen, als Ihre drei Kumpane Petra Schöffer vergewaltigen wollten – warum?«
»Wen?«
»Petra Schöffer, die Bedienung in Heidelberg.«
»Ach, Heidelberg.«
»War nicht das erste Mal?«
»Sagen wir so – es war das erste Mal, dass ich gesagt habe, es langt. Es war meist Hansen. Mit den anderen, ohne sie. Ich war nie dabei gewesen, die anderen haben es mir auch nie so deutlich gesagt. Aber in Heidelberg, da war ich dabei. Und da war Schluss. Endgültig. Da war mir klar, dass ich ihn nicht mehr decken würde. Egal, was passieren würde. Selbst wenn unser Hexenkapitel auffliegen sollte.«
»Und wie sind Sie hier gelandet? Haben Sie nicht irgendwie vermutet, dass Judith Reichenberg, also Paula Trizzi, Ihre Freunde auf dem Gewissen hat?«
»Klar, ich habe all die Zeitungsausschnitte über Wölzer und Hansen gelesen. Und diese komischen Verstümmelungen – wir hatten uns ja vor Jahren mit Hexen auseinandergesetzt und mit deren Folter. Diese Male waren mir schon vertraut. Ich habe daraufhin quer durch die Bundesrepublik gegoogelt – aber ich habe keine Paula Trizzi gefunden. Auch keine Paula irgendwas, geborene Trizzi. Also habe ich es für ein Hirngespinst gehalten. Und zur Polizei gehen, das konnte ich ja nicht. Auch wenn die Vergewaltigung verjährt war – meinen
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