Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
Tills Schuld. Jonne hatte damals den alten Rolls-Royce des Vaters für eine Spritztour ausgeliehen, als der alte Herr ein Wochenende weg war. Jonne war in einer Kurve zu schnell gefahren und an der Leitplanke entlanggeschlittert. Der Rolls war ziemlich hinüber. Von Totprügeln bis Enterben wäre alles an Strafe drin gewesen. Dann hatte Till, vier Jahre jünger, seinem Bruder den Arsch gerettet.«
Ja, dieser Terminus technicus war Margot vertraut.
»Jonne hat Bierdosen gekauft. Mit Handschuhen. Till hat den Wagen aufgebrochen, kurzgeschlossen. Dann waren sie zu einem Steinbruch gefahren. Hatten das Lenkrad und die Griffe abgewischt, die leeren Bierdosen ins Auto gelegt und den Rolls im Steinbruch stehen lassen. Die Polizei fand auf den Bierdosen Fingerabdrücke – klar, die Verkäufer mussten die Dinger ja angefasst haben –, aber das lief ins Leere. So war Jonne davongekommen.«
»Und nun war es an Jonne, die Schuld zu begleichen.«
»Genau. Er kam von Hamburg nach Reichelsheim. Till hatte ihm beschrieben, wo die Höhle war. Wir hatten vier Bäume weiter ein Kreuz in den Baum geritzt, damit wir die Stelle immer wiederfanden, denn wir hatten den Eingang richtig gut getarnt. So gut, dass auch die Polizei bei der Suche einfach drübergetappt ist.
Jonne zog sich eine schwarze Skimaske an, befreite Paula und schärfte ihr ein: ein Wort, und sie wäre tot. Es hat funktioniert.«
»Gratuliere.« Arschloch, dachte Margot.
»Da gibt es absolut nichts zu gratulieren. Ich war einfach zu feige, es zu sagen. Richard auch. Er war außer mir vielleicht noch der Einzige, der auch gedacht hat, etwas falsch gemacht zu haben. Aber wir hatten einfach tierisch Angst, im Knast zu landen. Und die Angst war stärker als unser Gewissen.«
»Und Sie?«
»Ich habe meine Wut auf mich selbst in Aggression nach außen kanalisiert, wie es Ihnen wahrscheinlich ein Psychologe so ähnlich erklären würde. Im Internat wurde ich zum Rowdy. Und später, in der Ludovica, da wurde ich der beste Fechter, den die Verbindung je hatte.«
DIENSTAG, 3. JULI
»Ja?«, sagte Nick schlaftrunken, als er das Handy ans Ohr hielt.
Das Klingeln hatte ihn aus der Tiefschlafphase gerissen.
»Äh, hallo? Doro?«
»Hier ist Nick Peckhard. Ich bin nur an das Handy gegangen.«
»Nick? Was machen Sie am Handy meiner Tochter? Und das um fünf Uhr früh? Ich will sofort meine Tochter sprechen.«
»Herr Becker, Ihre Tochter schläft noch. Ich habe nur eine Frage …«
»Ich will auf der Stelle mit Doro sprechen. Was haben Sie mit meiner Tochter zu tun? Wieso sind Sie in Deutschland? Was wird hier eigentlich gespielt, verdammt noch mal? Geben Sie mir auf der Stelle Doro. JETZT!!«
Nick seufzte. »Ich muss das Handy zu ihr bringen. Einen Moment bitte.« Rainer war ihm noch nie sympathisch gewesen. Nick hatte ihn nur wenige Male persönlich erlebt. Aber wie Margot sich an solch einen Mann binden konnte – das war ihm völlig unverständlich gewesen.
»Herr Becker, Doro ruft Sie gleich zurück«, sagte Nick. Den Satz: Ich muss erst mal rausfinden, wo sie überhaupt schläft, fügte er nicht hinzu. Kaum hatte er das Gespräch beendet, klingelte es schon wieder. Nick ignorierte Rainers Anruf und machte sich auf die Suche nach Doro.
Doro schlief im ersten Stock. Noch bevor Nick etwas sagen konnte, daddelte das Handy wieder los. Jetzt erst erkannte er die Melodie: Summertime Sadness von Lana del Rey. Passend.
»Ich geh schon dran«, murmelte Doro verschlafen und wurschtelte sich unter ihrer Bettdecke hervor. Nick reichte ihr das Handy.
»Ja?«, meinte sie.
Dann sprach sie fast zwanzig Sekunden lang kein Wort. Um dann zu sagen: »Stopp. Cut. Time out. Spar dir den Sermon, Papa, sonst nenne ich dich wieder Rainer.« Die Kleine wusste, wie man Papas knackte. »Ist Margot bei dir?«
Wieder fünfzehn Sekunden Schweigen auf Doros Seite. »Das heißt, dass sie nicht da ist und auch die ganze Nacht nicht da war?«
Zehn Sekunden. Dann drückte Doro ihren Vater aus der Leitung, machte Licht und sah Nick an: »Nick, du hast recht. Da stimmt irgendwas ganz und gar nicht!«
Sie hatte ein bisschen geschlafen. Es war unbequem und kalt. Philipp Kaufmann hatte die vergangenen Tage so schlafen müssen. Und wenn Margot sich das richtig zusammenreimte, dann war es Emil Sacher und Till Hansen ebenso ergangen. Margot hatte keine Zweifel, dass die Erdspuren, die unter Till Hansens Fingernägeln gefunden worden waren, zu dieser Grube passen würden.
Warum war die Kavallerie noch
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