Opferzeit: Thriller (German Edition)
aufgewacht.
Heute ist der erste Tag seit meiner Flucht, an dem ich das Haus verlassen habe. Ich vermisse meine Tochter bereits. Im Moment kümmert sich meine Mitbewohnerin um sie. Der Name meiner Mitbewohnerin ist Elizabeth, und der Name ihrer Schwester ist Kate, aber Kate lebt nicht mit uns im Haus. Das hat sie auch nie getan. Kate existiert zwar, aber ganz offensichtlich hat Melissa Elizabeth nur vorgetäuscht, dass ihre Schwester da ist, um sie besser unter Druck setzen zu können. Ich wende dieselbe Taktik an, und sie funktioniert wunderbar.
Die Post wird ins Haus gebracht. Das meiste davon sind Rechnungen. Auf allen ist vermerkt, dass der Rechnungsbetrag von einer Kreditkarte abgebucht wird, aber wessen Kreditkarte das ist oder wie Melissa das Ganze arrangiert hat, weiß ich nicht. Ich habe einen Laptop gefunden. Darauf ist eine Art Haushaltsplan gespeichert. Melissa hat die Miete ein Jahr im Voraus überwiesen. Außerdem hat sie jemanden bezahlt, der alle paar Wochen kommt, um den Rasen zu mähen.
Darüber hinaus hat sie die Schränke mit Babynahrung, Babykleidern und allem möglichen anderen Babybedarf gefüllt, und sie hat eine Tasche voll Bargeld hinterlassen, das ich für Einkäufe verwende. Dieselbe Kreditkarte, von der die Rechnungen abgebucht werden, verwende ich auch, um online Lebensmittel von einem nahe gelegenen Supermarkt zu bestellen. Etwa einmal in der Woche kaufe ich also per Computer ein, und die Einkäufe werden vor meiner Tür abgestellt. Ich habe eine Menge Geld vorgefunden. Fast drei ßigtausend Dollar. Die werde ich gut brauchen können, wenn wir das Haus irgendwann verlassen. Es ist ein hübsches Haus, trotzdem fühlt es sich hier ein wenig an wie im Gefängnis, da ich es so selten verlassen kann. Auch für Elizabeth fühlt es sich wie ein Gefängnis an, das kann ich mir zumindest vorstellen.
Ich lasse meine Haare lang wachsen. Es sieht scheußlich aus, aber allmählich gewöhne ich mich daran. Außerdem habe ich sie gefärbt. Blond. Die Farbe hat Melissa für mich ausgesucht. Es waren ein paar Schachteln Vorrat von dem Färbemittel hier.
Abigail wächst. Ich kenne ihren Geburtstag nicht, aber vermutlich kann ich einfach irgendeinen Tag auswählen. Sie lächelt mich jetzt häufiger an, und manchmal lacht sie unkontrolliert. Ich habe herausgefunden, dass das schönste Geräusch auf der Welt ein Babylachen ist. Das schlimmste Geräusch auf der Welt ist so ziemlich jedes andere Geräusch, das ein Baby von sich gibt. Sie lächelt auch Elizabeth an, die beiden scheinen sich zu mögen. Auch Elisabeth beginnt, mich zu mögen. Vielleicht entwickelt sich da etwas. So was soll ja vorkommen. Aber vielleicht will sie auch nur, dass ich sie gehen lasse.
Aber wie schon gesagt, das Haus fühlt sich an wie ein Gefängnis, und es ist schön, endlich mal wieder draußen unterwegs zu sein. Ich habe Bedürfnisse, die Elizabeth mir nicht erfüllen kann. Bedürfnisse, die mich nachts wach halten, ebenso wie Abigail das tut. Ich bin ein braver Junge gewesen. Ich habe die Hände von der Babysitterin gelassen. Mir gefällt die Vorstellung, mich mit vielen Händen an ihr zu schaffen zu machen, weniger gut gefällt mir allerdings die Vorstellung, ich könnte versehentlich die einzige Person töten, die Abi zum Einschlafen bringen kann.
Gute Dinge werden geschehen.
Die Dusche wird abgestellt. Ich höre Schritte, ein Handtuch wird von einem Gestell gezogen, dann die üblichen Badezimmergeräusche, Schubladen werden geöffnet und wieder geschlossen und die Lüftung wird eingeschaltet. Ich falte die Zeitung zusammen und lege sie zurück in meinen Akten koffer.
Ich nehme mein größtes Messer heraus und platziere es auf dem Bett. Dann zücke ich die Pistole, die ich in meinem neuen Haus gefunden habe.
Anschließend packe ich das Sandwich aus, das ich eigens mitgebracht habe.
Adam, der Gefängniswärter, tritt aus dem Bad ins Schlafzimmer.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, fragt er, weil er mich nicht wiedererkennt. Das liegt an den Haaren – außerdem habe ich auch etwas an Gewicht zugelegt.
Ich hebe erst die Pistole und dann das Sandwich. »Ich bin Joe der Optimist.«
Danksagung
Opferzeit ist im Verlauf von über zehn Jahren entstanden, mit einer vorerst recht vagen Idee. Mein Debüt Der siebte Tod (The Cleaner) schrieb ich 1999/2000. Schon damals dachte ich, dass eine Fortsetzung eine coole Sache wäre. Während der folgenden fünf bis sechs Jahre kam ich immer wieder auf diesen Gedanken zurück. Dabei
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