Opium bei Frau Rauscher
Alkoholangriff seiner Bettstatt entstieg. Üble Verwüstungen an Magen und Geist zwangen ihn dazu, hektische Bewegungen zu vermeiden. Ein Glas Milch und zwei kleine Kekse waren das einzige, was sein Verdauungsapparat zuließ. Laura war nicht zu Hause. Er vermutete sie bei ihrem neuen Freund, einem gutaussehenden Äskulapjünger.
Eine abwechselnd heiße und kalte Dusche brachte Herrn Schweitzer wieder auf Vordermann. Beim Rasieren schnitt er sich in die Oberlippe. Mit einem kleinen Pflaster behob er den Schaden. Nachdem er seinen Haaren so etwas wie Frisur verpaßt hatte, holte er die Frankfurter Rundschau aus dem Briefkasten. Er begnügte sich mit den Überschriften, mehr ließ seine Konzentrationsfähigkeit nicht zu. Als er sicher war, keinen Weltkrieg verpaßt zu haben, war Herr Schweitzer zufrieden. Achtlos schmiß er die Zeitung auf sein Bett.
Aus Erfahrung wußte er, was nach ausgearteten Trinkgelagen zu tun war. Er zog seinen Wintermantel an und ging spazieren. Der zinkgraue Himmel barg Unwettergefahr in sich. Trotzdem verzichtete er auf den Regenschirm. Genüßlich sog er den Sauerstoff ein. Beim Anblick frühmorgendlicher Trinker am Kiosk in der Schweizer Straße rebellierte sein Magen von neuem. Ohne daß ein Wille dahintersteckte, führten ihn seine Schritte in die Klappergasse. In sich versunken betrachtete er das Denkmal der Frau Rauscher. Dann öffnete er das Gatter und untersuchte den Boden an der Stelle, wo sich Jürgen vor mehreren Ewigkeiten zu schaffen gemacht hatte. Wenn jemals Spuren zu sehen gewesen waren, so hatte sie der letzte Regen verwischt. Mit seinem rechten Fuß prüfte er jeden Stein. Und tatsächlich, einer lag etwas lockerer als die anderen. Er ging an den Zaun vor und sah nach rechts und links. Eine orangefarbene Kehrmaschine mit ihren rotierenden Besen bog von der Dreieichstraße in die Klappergasse ein. Herr Schweitzer wartete, bis sie wieder verschwunden war, dann setzte er sein Werk fort. Mit einem kleinen Stöckchen entfernte er den Schlamm rund um den Pflasterstein. Ein weiteres Mal vergewisserte er sich, daß auch ja kein Passant in der Nähe war. Zwar boten ein paar kleine Fenster umliegender Häuser freie Sicht auf die Frau Rauscher, doch irgendwie war ihm heute alles scheißegal. Unter dem Stein kam ein metallblaues Kästchen zum Vorschein. Herr Schweitzer entfernte den Dreck und betrachtete es von allen Seiten. Es war eine kleine Geldkassette, wie man sie in jedem Schreibwarenladen kaufen konnte. Zu seiner Überraschung war sie unverschlossen. Darüber erschrak er ein bißchen. Adrenalin durchströmte seinen Körper. Ganz langsam, als könnte jeden Augenblick ein Zündmechanismus aktiviert werden, öffnete er den Deckel. Weder folgte eine Detonation noch schnellte ein kleiner Harlekin empor. Das Kästchen war randvoll mit kleinen Plastikbeuteln. Auf den ersten Blick erkannte er, daß die meisten Marihuana enthielten. In einigen wenigen jedoch steckten kleine Kügelchen. Je ein Beutel verschwand in seiner Manteltasche. Er klappte den Deckel zu und stellte das Kästchen zurück ins Loch.
Als er glaubte, alles sehe so aus wie vor seinem Erscheinen, entfernte er sich. Einen genauen Plan hatte er nicht. Doch wollte er erst einmal das Marihuana testen, bevor er sich Gedanken über sein weiteres Vorgehen machte. Am Lokalbahnhof bestieg Herr Schweitzer die Straßenbahn Linie 14, die er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienst noch selbst gesteuert hatte.
Er hatte nicht vor, sich mit einem Joint die Lichter auszuschießen, so bröselte er nur ganz wenig von dem grünen Zeug auf den Tabak. Hätte er ein klein wenig nachgedacht, wäre er womöglich darauf gekommen, daß es sich um Gras aus Laos handelte. Und Gras aus Laos hatte es in sich, wie Herr Schweitzer schon am eigenen Leib erfahren hatte. Obwohl er, wie gesagt, nur ganz wenig genommen hatte, war die Wirkung enorm.
Trotz der vielen Stunden, die Herr Schweitzer bereits geschlafen hatte, schaffte er noch zwei weitere.
Bei besonders gelagerten Fällen wird selbst in Deutschland Marihuana als Medizin verabreicht. Die Heilwirkung dieser Pflanze spülte nun Herrn Schweitzers alkoholexzeßbedingte Beschwerden restlos hinfort. Sogar sein Magen knurrte wieder, als er aufstand. Da im menschlichen Körper bei der Alkoholverbrennung Unmengen von Salz verbraucht werden, gelüstete es ihn nach Salzhering mit Zwiebeln und Kartoffeln. Zur Befriedigung dieser Sehnsucht begab sich Herr Schweitzer nun schnurstracks zur nächsten
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