Optimum 1
war unmöglich, mehr als ein paar Meter weit hineinzusehen.
Rica zögerte noch, den Wald zu betreten, und fragte sich gerade, ob sie ihn nicht vielleicht lieber umlaufen sollte, als sie ein lautes Hecheln hinter sich vernahm, gefolgt von einem freudigen Gebell. Ein heftiger Schlag traf sie im Rücken und ließ sie vorwärtstaumeln. Ihre Beine knickten unter ihr weg, um ein Haar hätte sie das Gleichgewicht verloren.
»Odi, du Trampeltier! Verschwinde!«, keuchte Rica.
Odi sprang freudig um sie herum und warf sich dann vor ihr auf den Bauch, um sie zum Spielen zu animieren.
»Kscht!« Rica fuchtelte mit den Armen und versuchte, den Hund zu verscheuchen, doch der schien das erst recht als eine Aufforderung zum Spielen zu verstehen. Er sprang auf, schnappte spielerisch nach ihren Fingern und bellte immer lauter.
Und dann gefror Rica das Blut in den Adern. Irgendwo hinter ihr brachen Schritte durch das dichte Gestrüpp, und Andreas Stimme rief: »Bleib bei ihr, Odi! Fass sie!«
Rica wirbelte herum und stürmte Hals über Kopf in den Wald hinein. Dort war es noch schlimmer als auf der überwucherten Wiese. Rica hatte keine Ahnung, wohin sie lief, immer wieder tauchten vor ihr aus der Dunkelheit Baumstämme auf, denen sie gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte. Kleine Bäumchen und Brombeerranken bildeten ein so dichtes Gestrüpp, das kein Durchkommen möglich war. Schon gar kein lautloses. Hinter ihr schwoll Odis Gebell mal an und mal ab, der Hund schien zwischen ihr und Andrea hin und her zu laufen.
Verräter!, dachte Rica und hoffte im Stillen, dass wenigstens Eliza entkam. Vielleicht gelang es ihr, schnell genug die Schulleitung oder sogar die Polizei zu informieren, sodass diese Rica noch zu Hilfe eilen konnten. Vielleicht …
Sie stolperte über eine dicke Wurzel, und dieses Mal gelang es ihr nicht, ihr Gleichgewicht zu halten. Sie taumelte, stürzte, schlug der Länge nach auf dem Waldboden auf. Eine dornige Ranke kratzte über ihre Wange, und mit der Stirn prallte Rica auf etwas so Hartes, dass ihr für einen Moment die Luft wegblieb. Ihre Sinne drohten zu schwinden. Der dunkle Wald schwankte vor ihren Augen, und das Hundegebell war für kurze Zeit nur noch wie durch Watte zu vernehmen. Ein Befehl von Andrea schallte durch den Wald und riss Rica in die Realität zurück. Die Stimme der Kletterlehrerin war unglaublich nah, vielleicht nur noch wenige Meter entfernt. Zumindest hörte es sich für Rica so an.
Mühsam kam sie auf die Füße. Es war so finster, dass sie keine Ahnung hatte, aus welcher Richtung sie gekommen und in welche sie eben noch geflohen war. Von einer Seite näherte sich das Hundegebell, und Rica taumelte blindlings los in die andere Richtung.
Später kam es ihr so vor, als sei sie stundenlang gerannt. Die Zeit dehnte sich wie Kaugummi, die Landschaft verschwamm vor ihren Augen, wurde zu einer einzigen dunklen Wand. Ihre Seiten schmerzten vom Rennen und von den Prellungen, die Janinas Bodyguards ihr zugefügt hatten.
Immer wieder drohte ihr angeknackster Knöchel nachzugeben, und sie musste um ihr Gleichgewicht kämpfen. Odis fröhliches Bellen verwandelte sich rasch in das Kläffen Dutzender Höllenhunde, die ihr auf den Fersen waren. Und ganz gleich, wie weit sie lief, immer wieder tauchte Andreas Stimme hinter ihr auf.
Sie würde es nicht schaffen.
Aber sie musste es unbedingt, musste das Ende dieses Waldes erreichen, dann … ja, was eigentlich? Rica hatte keine Ahnung, wo dieser Wald endete und was sie machen sollte, wenn sie sein Ende erreichte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie nicht die ganze Zeit im Kreis lief, immer auf der Flucht vor dem Gebell und der Stimme.
Dann war der Boden unter ihren Füßen plötzlich verschwunden. Rica trat ins Leere, ruderte wie eine Figur in einem schlechten Comic mit beiden Armen, um sich abzufangen, aber es war zu spät.
Der Sturz war endlos. Dabei dauerte er wahrscheinlich nur Sekunden.
Rica schlug hart auf den Boden auf, ihr Kopf prallte einmal mehr gegen etwas Spitzes und Hartes, sie spürte, wie ihre Haut aufriss und frisches Blut über ihre Stirn und Wangen rann. Zweige peitschten ihren Körper, als sie Hals über Kopf einen Abhang hinunterrollte. Steine und Äste bohrten sich an den unmöglichsten Stellen in ihren Körper. Dann kam der schlimmste Aufprall. Rica schlug mit vollem Gewicht auf etwas Großes, Hartes, das ihre angeschlagenen Rippen quetschte und ihr die Luft aus den Lungen presste. Gleich darauf spürte sie, wie
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