Optimum 1
kräftiger war als seine Frau.
»Es sind Kinder, verflixt noch mal, Andrea. Das kannst du nicht tun!« Er versuchte, Andrea das Messer aus der Hand zu winden, aber sie klammerte sich daran fest.
»Was ist denn in dich gefahren? Wir müssen sie zum Schweigen –«
Rica hörte nicht mehr zu. Das war die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. Sie sprang auf die Füße, rief Eliza ein hastiges »Jetzt!« zu und rannte los.
»Halt!« Andreas Stimme überschlug sich, war nur noch ein schrilles Kreischen. »Bleibt stehen!« Doch da war Rica schon an der Tür und riss sie auf. Glücklicherweise hatte Lars nicht daran gedacht, sie abzuschließen, als er wieder hereingekommen war. Im nächsten Moment war sie auf dem Flur und konnte die Tür am anderen Ende sehen, die hinaus in die Kletterhalle führte. Gleich darauf hörte sie Eliza hinter sich in den Flur stolpern. Im Wohnzimmer polterte etwas, als fielen Möbel um, und Andreas Kreischen steigerte sich zu einem schrillen Crescendo, aus dem keine einzelnen Worte mehr herauszuhören waren.
Ricas Füße hämmerten über den Steinfußboden, ihr Atem kam jetzt nur noch stoßweise. Ihre Rippen schmerzten noch immer von den Schlägen und Tritten, die Janina und ihre Bodyguards ihr verpasst hatten. Lange werde ich das nicht durchhalten, ging es ihr durch den Kopf. Hoffentlich finden wir schnell ein Versteck. Sie riss die Tür zur Halle auf und eilte hinaus. Die Halle lag in vollständiger Dunkelheit, nur schemenhaft waren Tisch und Grill zu erkennen und ein paar dunkle Bündel, die am Boden herumlagen. Rica stolperte ein paar Schritte vorwärts und hielt inne, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden und sich zu orientieren.
»Weiter!« Eliza war hinter ihr und versetzte Rica einen leichten Stoß in den Rücken. »Worauf wartest du? Sie sind sicher gleich da.«
Tatsächlich hörte Rica jetzt, wie sich rasche Schritte näherten. Andreas Geschrei war verklungen, und offensichtlich hatte zumindest sie sich an die Verfolgung gemacht.
Rica wartete nicht länger, sie sprintete zur Vordertür. Kühle Luft schlug ihr entgegen, als sie auf den Hof hinauslief, und lautes Gebell sagte ihr, dass Odi sie bemerkt hatte. Ein dunkler Schatten schoss aus der Dunkelheit auf sie zu, sprang an ihr hoch und hätte sie beinah umgeworfen.
»Sch, Odi, ist gut. Gib Ruhe!«, zischte Rica ihm zu, doch im gleichen Augenblick erklang hinter ihr Andreas Stimme.
»Odi, fass! Halt sie!«
Rica zuckte zusammen, doch alles, was Odi tat, war, erneut an ihr hochzuspringen und erfreut zu bellen. Sie schob seine Pfoten von ihren Schultern und klopfte ihm beruhigend auf den Rücken.
»Wohin?« Eliza blieb keuchend hinter ihr stehen und sah sich mit schreckgeweiteten Augen um.
»Wir trennen uns!«, zischte Rica. »Sie kann uns nicht beide verfolgen. Du läufst rauf zur Schule, und ich –«
»Bist du verrückt? Die stecken doch mit drin …«, begann Eliza, doch da tauchte Andrea in der Hoftür auf, und keine von ihnen überlegte noch länger. Sie rannten los, Eliza nach links den Hang hinauf, der in Richtung Schulgebäude lag, und Rica sprintete nach rechts.
»Hinterher!«, hörte sie Andrea rufen, wusste aber nicht, ob sie Odi meinte oder ob Lars nun ebenfalls die Verfolgung aufgenommen hatte. Sie drehte sich nicht um, um es herauszufinden.
Eine niedrige Mauer begrenzte den Hof, Rica setzte mit einem Sprung hinüber und kam auf der anderen Seite so ungünstig auf, dass sie sich um ein Haar den Fuß umgeknickt hätte. Sie unterdrückte einen schmerzerfüllten Aufschrei, kämpfte um ihre Balance und lief dann weiter. Hinter der Mauer fiel das Gelände weiter leicht ab, aber das hier war keine gepflegte Wiese mehr wie oberhalb des Hofes. Niedriges Gestrüpp und Unkraut wucherten hüfthoch, Brennnesseln und Disteln schienen nach Ricas bloßen Armen zu greifen. Der Boden war voller Unebenheiten, und mehr als einmal stolperte sie über eine dicke Wurzel. Bei alledem machte sie solch einen Lärm, dass man sie bestimmt noch oben in der Schule hören konnte, zumindest kam es ihr so vor. Ihr mühsames Dahinstolpern übertönte alle anderen Geräusche, so konnte sie auch nicht sagen, ob überhaupt noch jemand hinter ihr her war. Vielleicht war Andrea ja Eliza gefolgt. Rica ertappte sich dabei, dass sie sich genau das wünschte, und hatte sogleich ein schlechtes Gewissen.
Der Waldrand tauchte plötzlich vor ihr auf. Eine Wand aus dunklen Stämmen, zwischen den Bäumen sammelte sich die Dunkelheit in tiefen Schatten. Es
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