Optimum - Kalte Spuren
kerzengerade, und ihre Stimme klang genauso steif wie ihre Worte. Rica an ihrer Stelle hätte vermutlich losgeheult, aber Jasmins Haltung war geradezu aristokratisch. Auf ihrem Gesicht war keinerlei Gefühlsregung zu erkennen. Sie hätte genauso gut aus Stein gemeißelt sein können.
Simon hob an, etwas zu sagen, stockte, setzte noch einmal an und schüttelte dann den Kopf. »Wie du meinst«, sagte er. Damit drehte er sich um, ging auf die Gruppe von Schülern zu und verschwand zwischen ihnen.
Kein Wort zum Abschied, kein »Entschuldigung«, nur dieser stille Abgang. Jasmin und Rica starrten ihm fassungslos hinterher. Nach einiger Zeit drehte sich Jasmin zu Rica um und musterte sie von oben bis unten.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich habe einen furchtbaren Fehler begangen.«
Rica schüttelte den Kopf. Sie wollte etwas erwidern, aber jetzt, wo die Anspannung endgültig von ihr abfiel, wurde ihr von einem Moment auf den anderen schwindelig. Alles, die verschneite Landschaft, die Schüler, Jasmins trauriges Gesicht drehten sich vor ihren Augen wie auf einem irrsinnigen Karussell.
»Ich muss mich setzen«, murmelte sie, bevor ihre Beine unter ihr nachgaben.
Jasmin kniete an ihrer Seite. »Mach dir keine Sorgen«, flüsterte sie. »Jetzt ist ja alles vorbei.«
Rica hörte hinter sich die Tür klappen und rasche Schritte, die sich durch den Schnee näherten. Starke Hände zogen sie empor und stützten sie. »Ich kümmere mich um alles«, murmelte die Stimme ihres Vaters neben ihrem Ohr. »Ich bin stolz auf dich, Rica. Das hast du großartig gemacht.«
Schon wieder die Polizei. Rica fühlte sich an den Tag vor wenigen Monaten erinnert, an dem ihr Kletterlehrer abgeführt worden war. Sie stand gemeinsam mit Eliza im Unterstand des falschen Psychopathen und sah zu, wie ein Beamter ihm Fragen stellte. Ein anderer Polizist hatte sich erboten, die durchgefrorenen und desorientierten Schüler vor der Tür wieder zurück zur Skihütte zu bringen, wo einige Helfer aus dem Dorf sich um sie kümmerten.
Frau Friebe hatte sich im Schneesturm verirrt und war halb erfroren und bewusstlos am Rande des Dorfes gefunden worden und erst heute Abend wieder ansprechbar gewesen. Nachdem man sie befragt hatte, war sofort ein Rettungstrupp zur Hütte aufgebrochen, und als man niemanden dort vorgefunden hatte, hatte die Polizei die ganze Gegend durchkämmt.
Rica und Eliza sollten zunächst beim Unterschlupf bleiben. Um Fragen zu beantworten, hieß es.
Fragen stellte allerdings keiner. Im Gegenteil, die Polizisten benahmen sich, als wären sie überhaupt nicht vorhanden, während sie den Unterstand durchsuchten, Ordner in Kisten luden und Fotos von allem machten. Einer von ihnen sprach mit Ricas Vater, jedoch so leise, dass sie keine Details verstehen konnte. Nur hin und wieder drangen Gesprächsfetzen zu ihnen herüber, und die ergaben keinen besonderen Sinn. Rica legte allerdings auch keinen besonderen Wert darauf, viel zu verstehen. Sie war einfach nur müde und ausgelaugt und wollte nach Hause. Und Robin sehen. Mehr als alles andere noch. Sie musste wissen, ob er in Ordnung war.
Eliza, die ihre Anspannung zu spüren schien, legte Rica einen Arm um die Schulter, sagte aber nichts. Rica schenkte ihr ein dankbares Lächeln und bemerkte dabei, wie schlecht Eliza nach wie vor aussah. Blass und fiebrig. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen. Rica verspürte den leichten Stich des schlechten Gewissens, sie so zu sehen. Ich habe sie hier mit reingezogen. Aber Eliza schien ihre Gedanken gelesen zu haben. Sie schüttelte ganz sacht den Kopf.
Endlich löste sich Ricas Vater von dem Polizisten, warf einen kurzen Blick durch den Raum und kam dann zu ihnen herüber. »Ich habe alles geregelt«, sagte er. »Ihr müsst nicht mit der Polizei reden.«
Rica schenkte ihm einen nachdenklichen Blick. Nicht mit der Polizei reden. Schon nach Jos Tod hatte sie nicht mit der Polizei reden müssen. Es war bei einem sehr kurzen Interview über ihr Verhältnis zu Jo geblieben, ansonsten hatte man sie in Ruhe gelassen. Damals war ihr das nur recht gewesen. Aber jetzt kam ihr das seltsam vor. Immerhin waren sie und Eliza mittendrin gewesen, und noch vor einer Viertelstunde hatte der Polizist darauf bestanden, sie zu interviewen.
»Was geht hier eigentlich vor?« Sie wollte aggressiv klingen, merkte aber, dass sie dafür viel zu müde und abgespannt war.
Ihr Vater hob die Schultern und versuchte ein Lächeln, das ihm nur halb gelang. »Was meinst
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