Optimum - Kalte Spuren
ihrer Kindheit, die sie besonders erschreckt und beeinflusst hatten. So etwas.
Woher wissen sie das alles? Und vor allem: Warum wollen sie es überhaupt wissen? Eliza warf einen Blick über ihre Schulter zurück, weil sie das Gefühl hatte, dass sie Augen aus der Dunkelheit heraus beobachteten. Sie konnte niemanden sehen, aber das hieß vermutlich nichts. Sie hätte auch nicht gedacht, dass sie bei allem anderen in ihrem Leben beobachtet worden war. Anders konnte sie sich nämlich nicht erklären, woher all diese Fakten stammen sollten.
Jemand beobachtet alle meine Schritte. Und nicht nur ihre, wie es schien. Sie blätterte zurück. So viele Datenblätter über Schüler. Plötzlich schienen die Angaben darauf gar nicht mehr banal und langweilig. Eliza sah die Einträge jetzt mit anderen Augen. Wetten, dass die auch nicht mit irgendjemandem darüber gesprochen haben? Eliza blätterte weiter, bis sie tatsächlich ein Blatt mit Ricas Daten entdeckte. Oder besser gesagt, einen Entwurf für Ricas Datenblatt. Im Gegensatz zu den übrigen Zetteln waren hier die Angaben denkbar dürftig, nur die offensichtlichsten Felder waren ausgefüllt worden, zum Beispiel dass ihr größtes Hobby das Fotografieren war, und wo sie zuvor zur Schule gegangen war. Ein Feld fiel Eliza jedoch auf. Eltern: Manuela Lentz, Thomas Rausner, stand da. Hinter den Namen von Ricas Vater hatte jemand ein Ausrufezeichen gemalt.
Thomas Rausner. Eliza überlegte, ob Rica mal etwas über ihn erzählt hatte, konnte sich jedoch nicht erinnern. Nur dass ihr Vater ihre Mutter schon früh verlassen hatte, daran erinnerte Eliza sich. Vielleicht waren die beiden auch gar nicht verheiratet gewesen, sie trugen nicht mal den gleichen Nachnamen. Auch wenn das natürlich nichts heißen musste. Eliza verspürte einen leichten Stich des schlechten Gewissens. Sie sollte nicht einfach so ihrer Freundin hinterherspionieren, schon gar nicht in Bezug auf Angelegenheiten, über die sie von sich aus noch nichts erzählt hatte.
Gerade, als sie weiterblättern wollte, hörte sie die Schritte neben sich. Eliza fuhr zusammen und schlug automatisch den Ordner zu. Mit dem dummen Gefühl, ertappt worden zu sein, wandte sie sich um. Ein blasses Gesicht hob sich vom Dämmerlicht im Raum ab, als würde es in der Dunkelheit schimmern. Durch die seltsame Beleuchtung wirkte es dermaßen verzerrt, dass Eliza einen Moment brauchte, um es zu erkennen.
»Nathan«, flüsterte sie dann. »Was machst du hier?«
»Das Gleiche könnte ich dich fragen.« Seine sonst so freundliche Stimme ähnelte jetzt eher einem Knurren. »Schnüffelst du in den privaten Daten von uns anderen herum?« Er trat ganz dicht neben Eliza und griff nach dem Ordner.
»Ja … Nein, nicht direkt. Also nicht, wie du denkst.« Eliza verhedderte sich in ihren eigenen Worten. Sie verstand nicht, warum Nathan so sauer schien. Klar, es war nicht gerade die feine englische Art, was sie getan hatte, aber sein Gesichtsausdruck war geradezu erschreckend. Er war so wütend, dass er beinah zu platzen schien. Mit der Rechten hielt er den Ordner weit über seinen Kopf, wie ein Oberstufler, der einem kleineren Schüler den Ball weggenommen hatte.
»Ich nehme das an mich«, stellte er fest. »Und du solltest dir überlegen, was du eigentlich damit bezwecken wolltest.« Er funkelte sie immer noch wütend an. »Das ist kein Spaß, und du kannst nicht einfach im Leben anderer Leute herumkramen, wie es dir eben passt. Das solltet ihr Elitespinner endlich mal einsehen. Ihr seid nichts Besseres, bloß weil ihr auf eine dieser lächerlichen Schulen geht.« Bevor sie noch etwas erwidern konnte, hatte er sich umgedreht und war mitsamt dem Ordner davongestapft.
Verwirrt und mehr als nur ein bisschen verletzt sah Eliza hinter ihm her. Elitespinner. Es war ein Wort, das genauso gut aus Ricas Mund hätte kommen können. Doch aus irgendeinem Grund verletzte sie es mehr, dass Nathan es gesagt hatte.
Eliza kaute auf ihrer Unterlippe herum und versuchte, ihre aufkeimende Angst zu unterdrücken. Nathan hatte schrecklich ausgesehen, Furcht einflößend in seiner Wut. War das, was sie getan hatte, tatsächlich so unverzeihlich, dass es ihn derart wütend gemacht hatte?
Kapitel sieben
Fotos
Das Zimmer war ungewöhnlich dunkel, und eine drückende Stimmung lag in der Luft. Rica blinzelte, gähnte und drehte sich auf die Seite, um zu Elizas Bett hinüber sehen zu können.
Sie war nicht da. Die Decke war zurückgeschlagen, und das Bett war leer. Rica
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