Optimum - Kalte Spuren
Förster«, flüsterte sie. »Und auch kein harmloser Spaziergänger, der seinen Hund vermisst hat.«
»Das war bestimmt der Mörder selbst.« Robin sprach so leise, dass er kaum zu hören war. Doch die Gewissheit in seiner Stimme ließ Rica erneut schaudern.
»Warum hat er uns dann nichts getan?« Sie sah den Hang hinauf zwischen die dunklen Bäume, aber inzwischen war die Finsternis so vollständig, dass sie nicht weit sehen konnte. Trotzdem hatte sie den Eindruck, als ob Augen zwischen den Bäumen auf sie herunterstarrten.
»Vermutlich war es ihm zu viel, es mit uns allen dreien aufzunehmen«, erwiderte Nathan.
Rica konnte den Blick nicht vom Wald abwenden. Die Geschichte mit dem Psychopathen hatte zuvor noch einen fast romantischen Beiklang gehabt, eine Art Gruselgeschichte halt, wie man sie sich eben in Schullandheimen erzählte. Nichts, was sie wirklich ernst genommen hatte.
Aber das hier war etwas ganz anderes. Die Geschichte war real geworden.
Rica wandte sich ab und griff unbewusst nach Robins Hand. »Gehen wir«, flüsterte sie.
Sie brachten das letzte Stück Weges bis zu ihrer Unterkunft erstaunlich schnell hinter sich. Als das Haus mit den hell beleuchteten Fenstern endlich vor ihnen aufragte, konnte Rica sich eines erleichterten Seufzers nicht erwehren. In Sicherheit.
Sie hatte eine Strafpredigt erwartet, als sie die Tür aufstießen und in den Aufenthaltsraum stolperten. Das war ihrer Meinung nach das Mindeste, was ein Lehrer in so einer Situation tun konnte. Aber zu ihrer Überraschung fanden sie nur eine Gruppe der jüngeren Schüler friedlich beim Kartenspielen vor, während Herr Röhling und Herr Muhlmann sich leise in einer anderen Ecke des Zimmers unterhielten. Beide hatten dampfende Kaffeetassen vor sich auf dem Tisch stehen, und keiner von ihnen machte auch nur den Eindruck, als habe er jemanden vermisst.
Rica runzelte die Stirn und gab sich sehr viel Mühe, möglichst lautstark den Schnee aus ihren Kleidern und von ihren Schuhen zu klopfen, doch Herr Muhlmann sah nur kurz auf und nickte ihr freundlich lächelnd zu, bevor er sich wieder seinem Kaffee und seinem Gespräch zuwandte.
»Sollen wir ihnen von dem Psychopathen erzählen?«, fragte Robin und warf einen derart skeptischen Blick auf ihre Betreuer, der vermuten ließ, dass auch er an ihrer Kompetenz zweifelte.
Rica zuckte mit den Schultern. »Es sieht nicht so aus, als würde es sie besonders interessieren«, meinte sie.
Nathan verzog das Gesicht. »Ich rede trotzdem mit ihnen. Kann ja nicht sein, dass wir hier alle in Gefahr schweben und sie nichts davon wissen wollen.«
Rica verzog das Gesicht, sagte aber nichts mehr. Sie beobachtete, wie er zielstrebig zu den beiden Betreuern hinüberging, sich neben sie auf die Bank setzte und begann, leise auf sie einzureden. Dabei deutete er mehrfach in Richtung der Fenster. Beide Betreuer schienen ihm ernst und konzentriert zuzuhören, doch Rica konnte den Unglauben in ihren Gesichtern sehen. Würde ich es denn glauben, wenn mir jemand so eine wilde Geschichte erzählen würde?
»Ich glaube, wir sollten in nächster Zeit nicht mehr allein vor die Tür gehen«, sagte sie zu Robin.
»Ich hatte ohnehin nicht vor, dich allein zu lassen«, erwiderte er und legte ihr einen Arm um die Schultern. Rica merkte, wie ein warmes Gefühl der Dankbarkeit und Freude sie durchströmte. Sie genoss die Wärme, die von seinem Körper ausging, und verlor sich für einen Moment in der Illusion von Sicherheit, die sie ihr vermittelte. Dann wurde ihr wieder bewusst, dass Robin allein vermutlich keinen Schutz vor einem Psychopathen bieten konnte, und ihr Blick wanderte wieder zu den dunklen Fenstern. Draußen fiel immer noch Schnee, inzwischen in einem dichten Vorhang, der keinen Blick auf die Umgebung zuließ. Nach allem, was sie wussten, konnte der Kerl dort draußen sein, konnte sie bis zum Haus verfolgt haben und sie nun beobachten.
Kein guter Gedanke. Rica begann wieder zu zittern. Sie sehnte sich nach einer heißen Dusche, aber es war kaum wahrscheinlich, dass die Therme inzwischen repariert worden war.
Robin schenkte ihr einen besorgten Blick. »Lass uns zum Feuer gehen«, meinte er. »Da kannst du dich ein bisschen aufwärmen.« Er wusste vermutlich genau, dass es sich nicht um körperliche Kälte handelte, Rica war ihm dennoch für das Angebot dankbar. Am Feuer angekommen ließ sie sich auf eine Bank fallen, zog die Beine an den Körper und schlang die Arme darum. »Kannst du mir vielleicht einen
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