Optimum - Kalte Spuren
Fußabdrücken entlanggelaufen war. Aber warum bewegte er sich nicht? Was hatte er vor? Wollte er sie alle drei auf einmal erwischen?
»Mensch, Rica, verschwinde!«, rief Nathan ihr zu, als er bemerkte, wie sie auf ihn zukam. »Bringt euch in Sicherheit!«
Rica achtete nicht auf ihn. Mit einem halben Auge immer auf den Mann konzentriert, stieg sie bis auf Nathans Höhe hinauf und blieb neben der Schneewehe stehen, in der er feststeckte. Gleich darauf war auch Robin an ihrer Seite.
»Ihr seid total verrückt!«, knurrte Nathan. »Wenn er uns nun alle abmurkst, bin ich jedenfalls nicht schuld daran.«
»Kümmere dich um ihn, Rica!«, meinte Robin. »Ich passe so lange auf den Kerl da auf.« Er stellte sich breitbeinig neben Rica, kreuzte die Arme vor der Brust und starrte zu dem Mann mit dem Messer hinauf.
Rica hatte keine Ahnung, was Robin gegen einen Bewaffneten tun wollte, der zudem noch mindestens einen Kopf größer als er selbst war, aber es galt jetzt, keine Zeit zu verlieren. Sie wandte den Blick ab und begann, in die Schneewehe hinein zu waten.
»Vorsicht, hier ist irgendwo dieses verdammte Loch, in dem ich stecke«, warnte Nathan halblaut. Auch er sah zu dem Mann hoch.
Vorsichtig tastete Rica sich voran, fühlte mit dem Fuß erst, wohin sie trat, bevor sie ihr Gewicht darauf verlagerte. Der meiste Schnee unter ihren Füßen war gefroren und trug sie, als sie jedoch näher an Nathan herankam, merkte sie, was sein Problem war. Offensichtlich lief unter dem ganzen Schnee ein Graben oder ein Bachlauf den Berg hinunter, jedenfalls brach der Boden unter ihren Füßen plötzlich steil ab. Gerade noch rechtzeitig warf sich Rica nach hinten, bevor sie ebenfalls in dem Bachlauf endete.
»Beeilt euch!« Rica hörte Robins Stimme an, dass er versuchte, ruhig und souverän zu klingen, aber die Angst klang deutlich mit. Ein kurzer Blick über ihre Schulter sagte ihr, dass der Mann mit dem Messer sich langsam in Bewegung gesetzt hatte.
»Nimm meine Hand!« Rica beugte sich so weit nach vorn, wie es eben ging, ohne den Halt zu verlieren. Den linken Arm schlang sie um ein kleines Bäumchen direkt neben ihr, die Rechte hielt sie Nathan hin.
Nathan streckte sich ihr entgegen, so gut er konnte. Einen Moment lang streiften sich nur ihre Finger. Dann packte sie endgültig zu, und ihre Hände verschränkten sich. Rica begann zu ziehen.
Der Schnee entließ Nathan nur ungern aus seinen Fängen. Beinah als hätte er seinen eigenen Willen, klammerte er sich an seine Beine und Füße und hielt ihn fest. Rica musste all ihre Kraft aufwenden, und dennoch hätte sie es wohl nicht geschafft, wenn Nathan selbst nicht so kräftig gewesen wäre. Er trat und strampelte, dann war er mit einem plötzlichen Ruck frei. Nathan stolperte vorwärts, Rica rückwärts, keiner von ihnen konnte das Gleichgewicht halten, und so stürzten sie gemeinsam in die Schneewehe. Pulverschnee staubte hoch, nahm Rica die Sicht und überzog ihr Gesicht mit einer eisigen Schicht. Nathan lag halb auf ihr, und sein Gewicht drückte sie noch tiefer in den Schnee. Um sie herum war nur noch Weiß. Weiße Wände, weiße Decke. Und trotzdem schien es fürchterlich dunkel zu sein. Der Schnee ließ kein Geräusch mehr durch, die Stille dröhnte in ihren Ohren, und die Wände kamen immer näher auf sie zu.
Sie konnte nichts mehr sehen. Sie konnte nichts mehr hören. Schnee setzte sich in ihren Nasenlöchern fest und verstopfte ihren Mund.
Ich ersticke. Panisch trat Rica um sich, warf sich herum und versuchte, unter Nathan hervorzukriechen. Aber da war nur Schnee, eine massive weiße Wand, die sie nicht durchlassen wollte. Schnee, überall nur Schnee. Ein leises Wimmern erklang von irgendwoher, Rica konnte nicht mehr sagen, ob sie es am Ende nicht selbst ausstieß, jedenfalls klang es unendlich traurig und ängstlich. Rica schloss die Augen und versuchte, sich zu einem möglichst engen Ball zusammenzurollen. Wenn ich den Schnee nur aussperren kann …
Das Gewicht verschwand von ihren Beinen, und im nächsten Moment packte jemand ihren Arm und riss sie hoch. Rica versuchte, sich gegen den Griff zu wehren, doch sie merkte rasch, dass sie viel zu schwach war. Das Schneegefängnis hatte ihr alle Kraft geraubt. Auf wackeligen Beinen kam sie zum Stehen, ihre Augen tränten, ihr Blick war verschleiert, doch trotzdem konnte sie den Umriss vor sich gut erkennen. Der Mann hielt mit einer Hand Robin auf Abstand, der verzweifelt versuchte, sich zu Rica vorzukämpfen, mit der
Weitere Kostenlose Bücher