Opus 01 - Das verbotene Buch
Kronus auf jenem Zettel geschrieben hatte: Du wirst wissen. Das galt einzig und allein für ihn, Amos von Hohenstein. Dagegen könnte der Bücherjäger niemals herausfinden, wem es zugedacht ist . Dieser Gedanke kräftigte Amos so weit, dass er endlich aufstehen konnte. Selbst wenn Skythis den Zettel findet, sagte er sich – es hilft ihm nicht das Mindeste. Und bis sich der Bücherjäger wieder aus dem Tunnel befreit hätte, würde er selbst schon tief im unwegsamen Dickicht verschwunden sein.
Kurz untersuchte er noch das Bündel, das Kronus so fürsorglich für ihn gepackt hatte. Es enthielt frische Kleidung, Kerze und Schwefelhölzer, einige Blätter Papier nebst Kohlestift und sogar ein Päckchen mit Proviant, der köstlich duftete, als er das Ölpapier ein wenig auseinanderzog – Käse, Brot und eine zerlegte Räucherforelle. Rasch packte er alles wieder ein. Erst musste er einen sicheren Ort finden, weit draußen im Dickicht. Doch die Räucherforelle stärkte ihn jetzt schon, bevor er von ihr gegessen hatte – sie erinnerte ihn an sein Gespräch mit Kronus, als sie jeder einen Räucherfisch verzehrt hatten: »Leser wie du und ich«, hatte der alte Mann mit seinem stillen Lächeln gesagt, »tauchen in eine Geschichte ein und schwimmen darin munter umher wie die Forellen draußen im Mühlbach. Die Bücherjäger dagegen sind wie tote Räucherfische: Auch wenn du sie in den Bach zurückwirfst, können sie niemals mehr darin schwimmen.«
Nein, Herr, dachte Amos und musste grinsen, das können sie bestimmt nicht. Er schnürte das prall gefüllte Bündel zu, warf essich über den Rücken und schob sich
Das Buch der Geister
in den Gürtel. Schon wollte er loslaufen, da fiel sein Blick noch einmal auf die Luke im Waldboden. Die Strickleiter, die er dem Wölfischen im letzten Moment aus den Pranken gerissen hatte, lag in einer gewundenen Schlaufe um den Einstieg herum im Moos. Ohne groß darüber nachzudenken, kauerte sich Amos neben die Luke, nahm sein Messer heraus und schnitt den Strick von dem Eisenring, an dem er oben im Felsschacht festgebunden war.
Im Gehen rollte er das Seil zusammen und wollte es sich eben über den Rücken werfen, als er in seinen Augenwinkeln ein schattenhaftes Wesen wahrnahm. Zwei Schritte rechter Hand kauerte es unter einem Baum. Ein streunender Hund, dachte Amos im ersten Erschrecken – da machte die Kreatur einen Satz und rannte auf ihn zu. Es war ein Mensch, doch er lief weit vornübergebeugt und sein einer Fuß lahmte. Er stieß Knurr- und Keuchlaute aus, und ehe Amos reagieren konnte, hatte der andere ihn beim Hals gepackt und riss ihn zu Boden.
Es war der magere Bursche, der Oda mit seinem Messer bedroht hatte – doch er schien schrecklich verwandelt. Schaum stand vor seinem Mund, sein Antlitz war verzerrt, seine Augen nur noch schmale Schlitze, hinter denen es gelblich blitzte. Amos riss an seinen Handgelenken, aber so schwächlich der Bursche auch aussah, so eisern umklammerte er seinen Hals. »Teufel«, keuchte der Kerl, und dann kreischte es aus ihm heraus: »Zu Hilfe, Herr, ich hab den Satan im Sack!«
Die Sinne schwanden Amos. Doch nur wenige Augenblicke konnte er ohnmächtig gewesen sein, denn als er wieder zu sich kam, keuchten er selbst und der magere Bursche noch immer um die Wette. Aber der andere schien ihn bereits gänzlich vergessen zu haben. Er hielt das schwarze Buch aufgeschlagen in seinen Händen, und während er seine Lippen zu den gelesenen Worten mitbewegte, malte sich auf seinem Antlitz ein geradezu seliges Lächeln. »
Der Spiegel war von seinem Atem beschlagen
«, hörte Amos ihn flüstern, »
und als Laurentius ihn mit der Hand blank reibenwollte, da fuhr er mit dem ganzen Arm bis zur Schulter wie in einen Eimer voll Wasser hinein
.«
Amos warf sich auf ihn. Seine Kehle brannte vom Würgegriff dieses Kerls, der offenbar nicht bei Verstand war. Mal schrie er »Zu Hilfe, der Teufel«, dann wieder las er mit glückseligem Grinsen in dem angeblichen Teufelsbuch. Erst bedrohte er Oda mit dem Messer, damit Amos sich nicht weiter vom Turm abseilen konnte – und gleich darauf ließ er das Seil verschwinden, damit Cellaris Offizier von dem Ausbruchsversuch nichts mitbekam. Wie sollte das alles zusammenpassen?
Unter dem Anprall war der Bursche hintenüber zu Boden gefallen. Amos hockte sich auf ihn und riss ihm
Das Buch der Geister
aus der Hand. Es sah schon reichlich mitgenommen aus – der Umschlag befleckt, mehrere Blätter halb aus der Heftung gelöst und
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