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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Und so fühlte es sich auch an, als Amos mit den Fingern darüberstreichelte, ehe er es aufschlug und auf der Titelseite las:
    Das Buch der Geister
Von Valentin Kronus
    Es war die klare und gleichmäßige Handschrift des alten Mannes und Amos überflog die beiden Zeilen mit einem Gefühl, als ob er endlich wieder zu Hause wäre. Dann erst bemerkte er den winzigen Papierfetzen, den Kronus zwischen Umschlag und Titelseite in den Falz geschoben und mit gedrängten Lettern offenbar hastig beschriftet hatte:
    A.v.H. –
Du wirst wissen, wem es zugedacht ist.
Bring es ihm und Du wirst unsterblich werden.
– V.K.
    »Du wirst wissen« – in blitzartiger Erleuchtung wurde Amos klar, wie diese Worte einzig gemeint sein konnten: Um herauszufinden, wem er
Das Buch der Geister
bringen sollte, musste er die zweite Geschichte lesen und die Gabe des Gedankenlesens in sich erwecken. Erst dann nämlich könnte Kronus ihm auf magischem Weg mitteilen, was er als Nächstes tun musste.
    Oder hatte Kronus ihn einfach anweisen wollen, das Buch zu jenem Drucker Hebedank nach Nürnberg zu bringen? Nein, das glaubte er nicht – allerdings war es auch der schlechteste Augenblick, um darüber nachzudenken: Noch immer hing er am Knotenstrick und eben kam zwölf Fuß unter ihm der wölfische Bücherjäger aus dem Tunnel hervorgestampft. Hastig schob sich Amos das schmale Buch unter sein Gewand, kletterte das letzte Stück des Seils hoch und wuchtete die Eisenplatte beiseite. Glücklicherweise hatte sie nur lose oben über dem Schacht gelegen und nun kollerte sie draußen einige Schritte weit über den moosbedeckten Hang und blieb im Unterholz liegen.
    Amos schwang sich ins Freie und fuhr im nächsten Moment wieder herum. Der Bücherjäger hatte seine Hände bereits erhoben, um das Seil zu packen und hinter ihm herzuklettern – da beugte sich Amos in den Schacht zurück und riss den Knotenstrick zu sich empor. Unten heulte der Unterzensor auf. Er warf seinenKopf in den Nacken und schrie etwas Unverständliches zu Amos hinauf. Zugleich fuhr seine Rechte zum Gürtel und dann wirbelte ein bedrohlich funkelndes Etwas durch den Schacht nach oben.
    Die Streitaxt!
    Amos warf sich zurück und fiel hintenüber auf den Waldboden. Er hörte, wie die Axt drinnen gegen die Schachtwand prallte und kurz darauf mit eisernem Scheppern wieder unten aufkam. Streitäxte waren furchtbare Waffen – mehr als einmal hatte er auf der Burg mitangesehen, wie einer oder mehrere von Höttsches Männern mit schweren Verletzungen von einem Kriegszug zurückgekehrt waren. Die schrecklichsten Wunden rührten fast immer von Streitäxten her. Mit der gezähnten Hackseite gruben sie sich tief in ungeschützte Körperpartien. Ganz egal, wie vorsichtig man sie wieder hervorzog – unweigerlich riss man große Fleischstücke mit heraus.
    Ihm wurde nachträglich noch ein wenig schlecht, als er darüber nachdachte. Der Bücherjäger hatte tatsächlich mit seiner Streitaxt nach ihm geworfen. Und erst in diesem Augenblick, während Amos auf dem abschüssigen Waldboden lag, wenige Schritte tief im Tannenholz hinter Kronus’ Pferdeweide – da erst wurde ihm mit einem Schlag klar, dass er selbst nun die ausersehene Beute war, die die Bücherjäger fortan jagen würden. Er selbst und
Das Buch der Geister
, das Kronus ihm anvertraut hatte.
    Die Sonne stand schon wieder hoch über den Bäumen und umhüllte alles mit ihren Netzen aus zitterndem Licht. Bäume, Büsche, auch ihn selbst, seine Hände, die er über sich in die Luft hielt, mit dem
Buch der Geister
darin.
    Eigentlich sollte er längst wieder auf den Beinen sein, weiterlaufen, sich in Sicherheit bringen – irgendwo tief im unwegsamen Wald. Aber bei dem Gedanken, dass er selbst nun die Beute sein sollte, wurde ihm vor Angst nur noch schlechter. Fahrig blätterte er in dem Bändchen mit dem Umschlag aus gebürstetem Kaninchenleder, doch Kronus’ eingelegten Zettel konnte er nicht mehr finden. Was hatte der alte Mann ihm geschrieben? Amos kniff dieAugen zusammen und versuchte, sich zu erinnern. Bestimmt hatte Kronus ihm mit diesen Worten doch noch eine weitere geheime Botschaft übermitteln wollen – aber nun fiel ihm der genaue Wortlaut nicht mehr ein und den Zettel hatte er anscheinend verloren.
    Er brauchte weitere kostbare Augenblicke, um die Panik niederzukämpfen, die in ihm aufsteigen wollte. Aber schließlich wurde sein Atem wieder ruhiger und das Sausen in seinem Kopf ließ nach. Jetzt sah er auch wieder vor sich, was

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