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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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versuchte, mit wütendem Gesichtsausdruck, sie wieder herauszuziehen, während der magere Bursche ihm mit wilden Sprüngen hinterherlief.
    Amos warf sich sein Bündel und das notdürftig zusammengeraffte Seil über die Schulter, fuhr herum und rannte aufs Neue los.
5
    M
it wilden Sprüngen setzte Hannes
hinter dem kleinen Bücherteufel her. Er hätte es niemals für möglich gehalten, dass er so schnell rennen konnte – schneller sogar als der Junge vor ihm, dessen Vorsprung Schritt um Schritt dahinschmolz. Als kleinerKnabe war Hanno Mergelin immer verspottet worden, weil er sich so schwächlich und hölzern bewegte – »Knochenmanderl, Knochenmanderl«, hatten die anderen Dorfjungen hinter ihm hergerufen. Unter anderem deshalb hatte er sich ja später das Hinken zugelegt. Doch von Unbeholfenheit oder gar von Humpeln konnte nun keine Rede mehr sein.
    Hannes sprang und schnellte voran und taumelte und fing sich wieder. Er sah weder den kleinen Bücherteufel noch das Einerlei aus Bäumen und Buschwerk, denn seine Augen waren gänzlich nach innen gedreht. Er rannte und rannte und vor ihm schwebte eine köstliche Frucht zum Greifen nah. Vor seinen Augen und sehnsuchtsvoll ausgestreckten Händen brach sie auf und öffnete sich immer weiter vor ihm und ihr Inneres schimmerte wie eine Höhle aus Karfunkelsteinen. Hannes warf sich nach vorn, um kopfüber in die Höhle hineinzukriechen – da bekam er einen entsetzlich harten Schlag vor seine Stirn und fiel zum dritten Mal an diesem Tag nach hinten um.
    Die dämonischen Vorspiegelungen verblassten. Irgendwo in weiter Ferne hörte er den Unterzensor seinen Namen rufen, aber er fühlte sich viel zu schwach, um auch nur mit einem Stöhnen zu antworten. Um ihn herum war nichts als Wald mit einem abendroten Himmel darüber – rot wie die Höhle in dem Trugbild, mit dem ihn das Satansbuch hinter sich hergelockt hatte. Und vor diesem Hintergrund aus Abendrot und schwarzen zackigen Schattenrissen war auf einmal der kleine Bücherteufel über ihm.
    Er kauerte neben Hannes im Unterholz. Die Abendsonne verfärbte seine Haut flammendrot, sodass er wahrhaftig wie ein junger Teufel aussah. »Du heißt also Johannes?«, fragte er und seine feuerrote Brust hob und senkte sich.
    Hannes brachte nur ein Ächzen zustande. Sein Schädel brummte entsetzlich. Der kleine Teufel musste ihm mit einem Prügel daraufgeschlagen haben.
    »Ich sollte dich töten«, flüsterte sein Bezwinger und legte auch schon die Hände um Hannes’ Hals. Aber er zog sie gleich wiederfort und sah Hannes durchdringend an. »Oder ich sollte dich in dem Buch lesen lassen – damit es dich bekehrt.«
    Diesmal gelang es Hannes zumindest, krampfhaft seinen Kopf zu schütteln. Dadurch wurde sein Schädelschmerz allerdings nur noch ärger, und so brachte er bloß kaum hörbar heraus: »Nicht bekehren – dann lieber töten.«
    Der Junge sah ihn noch einen Augenblick so aufmerksam an, als ob er alles über ihn in Erfahrung bringen wollte. Dann schüttelte er leicht den Kopf und sprang auf. Im nächsten Moment war er im Dickicht verschwunden und Hannes fühlte tief in seinem Innern einen zerreißenden Schmerz. Ein Gebrodel aus Zorn und Neid und Hass und Trauer um sich selbst. So wie dieser Junge wollte ich immer sein, dachte er und richtete sich auf. Alles um ihn herum drehte sich, und er verstand selbst nicht recht, was dieser Gedanke eigentlich besagen wollte. Aber er spürte, dass es sein eigener Gedanke war – nicht von irgendwelchen Dämonen ihm eingeflüstert, sondern sein eigener, vertrauter und verheimlichter Schmerz. So arglos und stolz hatte der Junge ihn angesehen, dass er eigentlich gar kein Bücherteufel sein konnte – sondern höchstens von jenem leibhaftigen Satan durch falsche Versprechungen verlockt.
    So tief war Hannes Mergelin in seinen Grübeleien versunken, dass er Skythis weder rufen noch heranstampfen hörte. Erst als der Unterzensor ihn beim Strick packte, schreckte er auf.
    »Johannes, warum antwortest du nicht?«, stieß Skythis hervor. »Hast du den Burschen gesehen?«
    »Ich war ihm zum Greifen nah.« Hannes tastete sich behutsam über die Stirn. Über der Nase fühlte er eine gewaltige Beule, die sich nach vorne verjüngte wie bei einem Einhorn. »Aber dann hat er mir einen Prügel auf den Kopf geschlagen.«
    »Du wirst wieder vor einen Baum gelaufen sein«, knurrte der Unterzensor. Doch auch er schien nun glücklicherweise zu erschöpft, um noch länger auf Hannes einzuschimpfen oder gar in der

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