Opus 01 - Das verbotene Buch
sein Bündel band, sah er sich bereits suchend nach einem geeigneten Versteck um.
Kurz darauf glitt Amos in den grünen Spiegel des Sees hinein. Wie köstlich kühl das Wasser war. Unter seinen Füßen spürte er ein Gewirr von Ranken, die wie mit Fingern nach ihm griffen, während er zur Seemitte schwamm. Zwischen seinen Händen hielt er dabei seine alten Kleidungsstücke und wusch sie mit jeder Schwimmbewegung aus.
Mitten im See erhob sich eine kleine Insel. Es war kaum mehr als ein Erdhügel, mit einer kümmerlichen Trauerweide darauf, die ihre Zweige ins Wasser hängen ließ. Amos schwamm zu der Insel, häufte die ausgewaschenen Anziehsachen auf die Wurzeln der Weide und hielt sich mit beiden Händen an ihren Ästen fest. So trieb er eine Weile müßig im Wasser, spürte die leichte Strömung, die ihn von der Insel wegziehen wollte, und blinzelte schläfrig zwischen den Zweigen hindurch.
Nur noch einen kleinen Augenblick wollte er sich vom Wasser wiegen lassen – dann würde er zurück zum Ufer schwimmen, wo er sein Bündel im dichtbelaubten Wipfel eines Eichbaums versteckt hatte. Der Baum war zehn Fuß hoch und sein Stamm bis zu einer Höhe von wenigstens sieben Fuß vollkommen glatt. Obwohl Amos ein geübter Kletterer war, wäre er ohne das Seil nicht hinaufgekommen, und überdies verbarg dichtes Laubwerk das Bündel dort oben vor unerwünschten Blicken. Es war ein ideales Versteck. Und das Seil, das sich vom Geäst des Eichbaums zu einem Busch nah am Ufer spannte, unterschied sich kaum von den Luftwurzeln, die kreuz und quer zwischen den Bäumen verliefen – zumindest für ungeübte Betrachter wie die Bücherjäger.
Wohlig ließ sich Amos vom Wasser schaukeln und versicherte sich dabei abermals, dass er den Wölfischen und seinen hinkenden Gehilfen abgehängt hätte. Beinahe wäre er unter der Trauerweide doch noch eingeschlafen – da schreckte ihn leises Knacken im Unterholz auf.
Er blinzelte zwischen den Zweigen hindurch und wollte seinen Augen nicht trauen: Dort drüben, am jenseitigen Ufer, brachen eben der Unterzensor Skythis und der magere Bursche aus dem Dickicht hervor. Beide sahen vollkommen zerschunden aus – Gesichter und Arme zerkratzt und zerstochen und die Kleidung hing ihnen in Fetzen am Leib. Der stämmige Mann hielt seinen Gehilfen an einer Art Hundeleine fest, die er ihm um die Brust gebunden hatte, und der Junge wirkte so entkräftet, als ob er im nächsten Moment tot umfallen würde.
Aber dieser Eindruck täuschte, das wurde Amos gleich darauf klar. Der Bursche hob seinen Kopf und hielt die Nase in den Wind, wie um Witterung aufzunehmen. Dann rannte er urplötzlich los, mit solcher Wucht, dass der ältere Mann regelrecht mitgerissen wurde. Und mit ungläubigem Erschrecken sah Amos, dass sich der magere Kerl geradewegs dem Eichbaum näherte, auf dem er sein Bündel versteckt hatte – mit dem
Buch der Geister
obenauf.
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V
or Schreck wusste Amos zuerst gar nicht,
was er jetzt machen sollte. Hinter der Trauerweide versteckt, sah er nur reglos zu, wie der magere Kerl auf den Eichbaum zuhetzte. Noch im Rennen zog Skythis seine Streitaxt aus dem Gürtel und spähte auf der Lichtung umher.
Wie war es nur möglich, dass die beiden ihm bis hierher gefolgt waren? Sie konnten auf gar keinen Fall so schnell und ausdauernd wie er selbst gelaufen sein – also mussten sie sich auf geradem Weg zu diesem Ort bewegt haben, während er den zufälligen Kurven und Krümmungen der Tierpfade gefolgt war. Aber das ergab keinen Sinn, denn er hatte ja gar nicht gewusst, dass er ausgerechnet hierherlaufen würde – er war lange Zeit einfach durch den Wald gerannt, ohne sich groß um den Weg zukümmern, und hatte auch nachher nur darauf geachtet, dass er sich grob in Richtung Süden hielt.
Der magere Kerl stand jetzt genau unter dem Eichbaum. Wieder hob er seinen Kopf, als ob er zum Wipfel hin wittern wollte. Obwohl es von der Seemitte bis zum Ufer gut zwanzig Fuß sein mussten, meinte Amos zu erkennen, dass der Bursche seine Augen wieder zu Schlitzen zusammengezogen hatte und dahinter nur gelblich-weiße Kugeln hervorblitzten, so als ob seine Augäpfel nach innen verdreht wären.
Ihn selbst, den Schwimmer im Wasser, schien der Gehilfe des Unterzensors überhaupt nicht zu bemerken – oder zumindest beachtete er Amos nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Baumwipfel gerichtet, und nun sprang er sogar an dem glatten Stamm empor und versuchte, mit hochgereckten Händen die unterste Astgabel zu
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