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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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merken, dass er auf die falsche Fährte gelockt worden war. Aber bis dahin wäre Amos ihnen schon weit in die entgegengesetzte Richtung enteilt – an einen Ort, der ihm gestern Abend beim Rennen eingefallen war.
    Vor vielen, vielen Jahren war er mit seinem Vater einmal dort gewesen. In einem Labyrinth aus urtümlichen Felsen, die in der Wildnis bei Wunsiedel übereinandergetürmt und ineinander verkeilt lagen wie die Überreste einer Titanenstadt. Wasser ergoss sich dort in Kaskaden über die Felsen, und Bäche und Rinnsale sprudelten allerorten aus Ritzen im Gestein hervor. Aber es gab auch Spuren menschlichen Lebens aus neueren Zeiten – Ruinenüberreste und einen eigentümlich kleinen Wehrturm, der auf einer haarsträubend schroffen Felssäule aufragte. Es war derideale Ort, um sich sogar vor einer ganzen Streitmacht für eine gewisse Zeit zu verschanzen – jedenfalls dann, wenn man ein geübter Kletterer war und über ein so vorzügliches Seil verfügte wie er.
    Amos legte seinen Kopf zurück und sah zum funkelnden Sternenhimmel empor. Was Kronus wohl zu diesem Plan sagen würde? Wie gerne hätte er nun einfach seine Augen geschlossen, sein Herz weit geöffnet und in sich hineingelauscht. Aber er fürchtete sich gleich zweifach vor dem, was er in seinem Innern vorfinden könnte: der wärmende, stärkende Lichtstrahl von Kronus für immer erloschen. Und stattdessen wieder jenes krampfhaft glimmende Rinnsal, mit dem Johannes herannahte, um von seinem inneren Lichtquell zu räubern.
    Ihr würdet meinen Plan gutheißen, Herr, dachte Amos – ich spüre es trotz allem.
    Er schlug
Das Buch der Geister
auf, glättete das Papier vor sich auf seinem angewinkelten Bein und begann bei flackerndem Kerzenschein zu schreiben.
7
    H
annes rannte und sprang,
so rasch seine Füße ihn trugen. Die Augen nach innen verdreht, das Seil um seine Brust so straff gespannt, dass er mit dem Unterzensor um die Wette keuchte. Die Trugbilder, mit denen ihn das Satansbuch verlockte, kamen ihm heute eigentümlich blass vor. Aber das mochte an seiner eigenen Mattigkeit liegen, und wie zum Ausgleich schwebte der Gaukelspuk näher als jemals vor ihm – das Antlitz einer jungen Frau, die betörend vor ihm die Augen aufschlug, dann wieder jene köstliche Frucht, die sich zur schimmernden Karfunkelhöhle wandelte. Und im nächsten Moment zu einem Züngeln und Zischeln wurde, das einen halben Schritt linker Hand am Wegrand aufstieg – wie schillernde Dampfsäulen, wie flammendesGeflüster. Hannes warf sich auf die Knie und wühlte im Laub, bekam irgendetwas zu fassen und schob es unter sein Gewand, während Skythis schimpfte: »Obacht, Johannes, du brichst dir noch alle Knochen!«
    Seltsamerweise begannen die Trugbilder bereits wieder vor ihm zu leuchten, und Hannes rannte aufs Neue los, die Augen nach innen verdreht. Im Laufen fuhr er mit einem Finger unter sein Hemd und ertastete ein Fetzchen Papier. Das Herz blieb ihm beinahe stehen – vor Schreck, vor Entzücken, er wusste es nicht und es war ihm auch gänzlich gleich. Der Junge hat ein Blatt aus seinem Buch verloren, dachte er, und wenn eines herausfallen konnte, rieseln vielleicht noch weitere hinterher.
    Vor dem Unterzensor durfte er sich nicht das Geringste anmerken lassen, das vergaß Hannes nicht einen holprigen Herzschlag lang, während er weiter voranstolperte. Er schaffte es sogar, im Laufen seine Augen nach vorne zu drehen, und erschrak nur kurz, als er Bäume und Buschwerk windgeschwind vorüberschwanken sah. Zwei Finger schob er diesmal unter sein Gewand und zog das zerknickte Fetzchen Papier eben weit genug hervor, um im Rennen darauf hinabzuschielen.

    … konnte eigentlich nicht sein. Denn Laurentius Answer war vor Monatsfrist erst zum Ritter geschlagen worden, nachdem er seinem Herrn, dem Grafen Leonhard von Wallenfels, vier Jahre lang treu als Page gedient hatte. Und der Spiegel, vor dem Ritter Laurenz seither in jeder freien Stunde stand, war nichts anderes als der blanke Schild, den ihm Leonhard zusammen mit dem Erbschwert seiner Väter übergeben hatte: »Das Schwert aus Blitzen gehämmert, der Schild ein geschmiedeter Mond – erweist Euch ihrer würdig, Ritter Laurenz!« Diesen Rat hatte Laurentius auf seine Art beherzigt – indem er das Schwert unter sein Bett schob und den spiegelnden Schild an einem Nagel vor seiner Kammerwand aufhängte. Und nun verdampfte der Spiegel, in demLaurenz mit dem linken Arm wie in einem Wasserloch steckte, und auch die Wand um den Schild

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