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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Rücken drehte und in seiner linken Faust einen Zettel fand. Skythis glättete das Blatt mit seinen Fäusten und begann zu lesen, wobei seine Augen vor ungläubigem Erstaunen größer und größer wurden.

    Laurenz war beim Anblick seiner Verfolger kurzzeitig erstarrt. Nun aber warf er sich regelrecht herum und begann die Treppe emporzurennen. Er selbst hätte nicht sagen können, was er damit bezweckte, und bestimmt war es ungehörig, eine ältere Dame einfach so in leichtem Galopp abzuhängen. Doch als er nach einigen Dutzend weiteren Stufen den Kopf nach hinten wandte, da folgte ihm Lucindas Mutter scheinbar mühelos auf dem Fuße. Von ihrem bunten Federkleid umweht, schien sie wahrhaftig dahinzufliegen, und auch die restliche Willkommensschar lief noch immer in geringem Abstand hinter ihnen her. Die Narren wirbelten Rad schlagend die Treppe empor, und die Tänzerinnen vertrieben sich die Langeweile, indem sie im Hinauflaufen Pirouetten drehten oder sich von den Dichtern im Sprung auffangen und wieder in die Luft schleudernließen. Die Maler aber legten offenbar letzte Hand an ihre Kunstwerke an – der eine rieb im Rennen mit dem Daumen über die Leinwand, der nächste vollführte abschließende Kreidekrakel, während sie wie der Wind die Wendeltreppe empor …

    »Johannes, Johannes«, murmelte der Unterzensor.
    Hannes war mittlerweile zu sich gekommen und duldete starr vor Entsetzen, dass Skythis ihm das Hemd aus dem Hosenbund riss. Ein wahrer Wanst aus zerknüllten und zerknickten Papierfetzen quoll hervor und der Unterzensor wühlte mit plumper Hand darin herum. Wahllos nahm er einzelne Blätter auf und glättete sie, warf aber nur einen angewiderten Blick darauf und knüllte sie desto ärger wieder zusammen.
    »Und du hast daran gezweifelt, dass dieser Junge genauso ein Teufel ist wie sein Meister Kronus?« Skythis heulte es in nahezu wölfischem Tonfall hervor. »Er ist der gelehrigste Schüler, den man sich denken kann – im Gegensatz zu dir!« Er riss Hannes das Hemd bis zum Kinn hoch, aber außer einem ausgemergelten Oberkörper mit Rippen so zackig wie die Zähne einer Streitaxt kam nichts Verdächtiges mehr zum Vorschein. »Er hat dich übertölpelt!«, stieß Skythis hervor. »Er hat uns zum Narren gehalten und in die Irre geführt, aber dafür wird der kleine Satan büßen. Ich will ihn winseln sehen! Auf den Knien! Heute noch!« Er stemmte sich hoch und versetzte Hannes einen Fußtritt. »Steh auf, Johannes! Und das lass dir gesagt sein: Noch ein einziger Fehltritt und ich muss dich in Cellaris Hände geben.«
8
    A
ls hätten zornige Riesen
ein ganzes Gebirge mit ihren Fäusten zertrümmert, so wüst durcheinandergewürfelt und wacklig übereinandergetürmt, ragte das Felsenlabyrinth im Morgengrauen vor Amos auf.
    Er war todmüde und zugleich erleichtert, weil er so glatt hierher gefunden hatte und ohne jeden Zwischenfall durchgekommen war. Aber dem Glücksgefühl, das in ihm aufsteigen wollte, durfte er sich noch längst nicht überlassen. Auch wenn ihm immer leichter ums Herz wurde, je länger er an dem schwindelerregenden Felshaufen emporsah.
    Wasser rann und strömte allerorten aus Gesteinsritzen hervor. Es plätscherte und schoss an steilen Felsplatten herunter, brach sich an schief dazwischengekeilten Riesenstufen und floss dann wieder in Felsrinnen dahin, die so glatt und gerade verliefen, als ob sie von Menschenhand gemeißelt worden wären.
    Nachdem er seine Zettel mit den magischen Ködern für Johannes vollgeschrieben hatte, war er stundenlang in Richtung Norden zurückgelaufen, um die falsche Fährte zu legen. So schnell es im Stockdunkeln irgend ging, war er dann aufs Neue in Richtung Wunsiedel gerannt. Und nicht lange nach Mitternacht hatte er bereits wieder jenes Felsgefüge passiert, das aus der Ferne fast wie ein aufgeschlagenes, aufrecht stehendes Buch aussah.
    Wo auch immer die beiden Bücherjäger sich zur Ruhe gebettet hatten – wenn sie erwachen und sich neuerlich auf die Jagd machen würden, musste er bereits weit weg sein, damit Johannes sich überhaupt auf die falsche Fährte locken ließ. Denn von den Bruchstücken aus der ersten Geschichte, die er hastig auf einzelne Papierfetzen gekritzelt hatte, ging bestimmt eine viel schwächere Verlockung aus als von dem gesamten Buch, das er unterdessen in seinem Bündel mit sich davontrug.
    Wann immer er in dieser Nacht an einem Bach oder einer Quelle vorbeikam, hatte Amos eine kurze Pause eingelegt. Während er trank und sich

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