Opus 01 - Das verbotene Buch
glückseliges Gewinsel aus.
Ein paar Schritte vor ihm lag ein einsamer Nachen im flachen Uferwasser, und da erst wurde Klara so richtig bewusst, was er vorhatte. Sie schrie noch lauter auf und sprang von der Füchsin und rannte ihm blindlings hinterher. Ihr Gewand war über dem Gürtel in Fetzen gerissen, doch sie war so außer sich vor Wut und Angst, dass sie es kaum bemerkte. Bis zu den Knien im Wasser stakste der klapperdürre Johannes auf den Nachen zu, warf schon von Weitem erst die Axt, dann das Buch hinein und als Nächstes kopfüber sich selbst. Wild schwankte das Boot, und er rappelte sich wieder auf und beugte sich nach draußen, um den Nachenloszumachen. Das Gefährt war mit einem Seil am tief hängenden Ast einer Uferweide vertäut, und während Klara durchs flache Wasser platschte, riss und zerrte Johannes an dem Seil herum.
Sie warf sich nach vorn und stieß und schaufelte sich mit verzweifelten Bewegungen auf das Boot zu. Gerade als sie mit einer Hand nach dem hinteren Nachenrand griff, sah sie über sich die Axt aufblitzen. Sie warf sich zurück und verlor den Boden unter ihren Füßen. Aber sie ließ das Boot nicht los, und so bäumte es sich beinahe senkrecht auf und der klapperdürre Kerl fuchtelte über ihr in der Luft herum und klatschte bäuchlings in den Fluss zurück.
Noch während er hustend und prustend um Luft rang, war Klara bei ihm. Mit beiden Händen schlug sie auf ihn ein, und dabei schrie sie wie von Sinnen: »Du ekelhafter Knochensack, das zahle ich dir heim!« Sie bekam ihn bei seinen distelspitzen Schultern zu fassen und drückte ihn unter Wasser, wie sehr er auch mit den Beinen zappelte und ihre Hände von seinen Schultern wegzuzerren versuchte.
Erst als er sich überhaupt nicht mehr rührte, kam Klara zu sich. Sie packte ihn bei den Haaren und zog ihn bis zum Hals aus dem Wasser, doch seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht wie bei einem Toten so starr. Ihr Blick fiel auf den Nachen – der lag wie vorhin unter der Weide vertäut, mit der Streitaxt und dem
Buch der Geister
nebeneinander auf der Ruderbank.
Sie hatte das Buch gerettet, aber um welchen Preis!
»Johannes«, rief Klara, doch der klapperdürre Kerl gab keinen Mucks von sich. Sie selbst war vollkommen außer Atem, und umso unheimlicher schien es ihr, dass Johannes nicht einmal leise schnaufte.
Mit ihrer letzten Kraft fasste sie ihn unter den Achseln und zog ihn ins seichte Uferwasser. Dort bettete sie den Reglosen auf die Böschung, kniete sich neben ihn und presste mit den flachen Händen wieder und wieder auf seinen Brustkorb. So hatte es ihr die Mutter beigebracht, und so hatte sie es auch selbst schon mehrals einmal gemacht, um Menschen, die ins Wasser gefallen waren, vor dem Erstickungstod zu retten. Aber niemals vorher hatten sich Rippen unter ihren Händen so wie diese angefühlt – wie Feuerholz oder wie ein Bündel Totenknochen.
»Johannes«, keuchte sie, »komm zu dir!« Sie presste und flehte, und die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter – Tränen der Angst und Verzweiflung und Wut.
Gerade als ihr die Kräfte vollends schwinden wollten, begann der verdammte Kerl röchelnd auszuatmen. Er spie einen Schwall Flusswasser aus und seine Lider hoben sich flatternd. »Was ist … wo bin …«, stieß er hervor und hustete und spuckte zum Erbarmen.
Ehe er wieder bei Kräften wäre, musste sie auf und davon sein – das wurde Klara nun blitzartig klar. Sie sprang auf und watete eilends zu dem Nachen unter der Weide zurück. Sie beugte sich hinein, packte mit der Linken das Buch und mit der Rechten die Axt. Als sie über die Schulter zurückschaute, sah sie, dass Johannes sich aufrecht hingesetzt hatte, immer noch hustend und keuchend. Sie ließ die grässliche Waffe auf das Seil niedersausen, und das Boot wurde von der Strömung ergriffen und glitt windgeschwind davon. Hinter ihr heulte Johannes auf, und dann begann er wie am Spieß zu schreien: Klara holte aus, so weit sie konnte, und warf die Streitaxt in hohem Bogen dem Boot hinterher. Mit lautem Klatschen versank die Waffe im Fluss.
Die Füchsin wartete oben auf dem Saumpfad. Sie begrüßte ihre Herrin mit freudigem Schnauben, als Klara abermals aus der Regnitz hervorgewatet kam. Triefnass bis zum Gürtel, lief sie die Böschung empor und Johannes schrie und wimmerte hinter ihr her. Als Klara zu ihm zurücksah, machte er einen kraftlosen Versuch, die Ufersteile emporzukriechen, ließ es aber gleich wieder sein. Mit herabhängender Kinnlade,
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