Opus 01 - Das verbotene Buch
Burgwächtern war.
»Was machst du hier so allein, Klara?« Er strahlte sie an. »Ich habe gleich an deinen Schritten gemerkt, dass nur du es sein konntest – so zierlich und zart wie ein Engel.« Er wurde wieder ein wenig rot. »Man kann sich in diesem Labyrinth leicht verirren, wenn man keinen kundigen Führer bei sich hat.«
Sie bemühte sich, unbekümmert zu lächeln. Dabei schlug ihr das Herz mittlerweile bis in die Schläfen hinauf. »Nun, die Besprechung zieht sich sehr in die Länge.« Sie flüsterte beinahe und versuchte, ihrer Stimme einen verschwörerischen Unterton zu verleihen. »Um es dir nur gleich zu gestehen, Hans – ich habe mich deshalb mit Amos ein wenig gestritten. Darum will ich ihmjetzt auch einen Schrecken einjagen – wenn er sich endlich mit den Herren fertig beredet hat, soll er vergeblich nach mir suchen. Du hilfst mir doch dabei?«
In die Augen des jungen Malers trat ein begehrlicher Glanz. »Wir könnten dich in meiner Kammer verstecken – Albrecht und ich hausen vorne im Torhaus, bis die Kapelle fertig ausgemalt ist.«
»Ich dachte eher an den ›Wilden Jäger‹ – während Amos die Burg nach mir absucht, liege ich unten im Zuber und nehme seelenruhig ein Bad.«
Hans leckte sich die Lippen. »Also gut, ich bin dabei. Aber dieser Weg hier führt nicht zum Torhaus, sondern zum Wehrgang über der äußeren Mauer.«
»Kommt man dort denn nicht auch irgendwie hinaus? Du verstehst schon, Hans – wenn Amos mich sucht und die Wächter ihm melden, dass ich durchs Tor hinausspaziert bin, wird er sich natürlich gleich denken, wohin ich gegangen bin.«
Der Maler sah sie unter gerunzelten Brauen an. Offenbar rang in ihm Angst mit Begierde und Klara hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihr gleich anfangen würde zu brennen. Bestimmt waren die Wächter längst durch die offene zweite Tür hinausgelangt und hatten vorn am Torhaus Alarm geschlagen. Aber sie durfte sich nichts anmerken lassen, sonst würde Hans gleich wieder allen Mut verlieren.
»Es gibt noch eine Möglichkeit«, sagte er schließlich mit hörbarem Widerstreben. »Aber sie ist sehr gefährlich, und wenn ich dir auf diesem Weg hinaushelfe, kann ich großen Ärger bekommen.«
Sie hängte sich bei ihm ein und lächelte ihn verheißungsvoll an. »Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir. Aber lass uns rasch machen, Hans – ich kann es kaum erwarten, mit dir allein in meiner Kammer zu sein.«
Niemals vorher hatte sie in so berechnender Weise mit einem Jungen gesprochen, und sie mochte auch kaum glauben, dass Hans Wolf auf derart plumpe Vorspiegelungen hereinfallen würde.
Doch er hatte sich offenbar bereits hoffnungslos in ihren Netzen verfangen. »Versprich mir nur zweierlei, dann will ich dich schon zum ›Wilden Jäger‹ bringen«, sagte er und seine Stimme klang belegt.
»Was denn, lieber Hans?«
»Dass Amos nichts davon erfährt – und dass ich dich nun doch beim Baden malen darf.«
Dieses Mal erröteten sie um die Wette. Und dann flog irgendwo weit hinter ihnen mit Donnerkrachen eine Tür auf und Klara hauchte »Versprochen« und ließ sich in Windeseile den Gang hinunterziehen. Mehrfach bogen sie noch nach links und rechts ab und gelangten endlich zu einer schmalen Treppe, die laut Hans zum Wehrgang hinaufführte.
»Siehst du«, japste er, als sie oben auf der Mauer angekommen waren. »Ich halte, was ich versprochen habe.« Er beugte sich über den Mauerfirst und Klara tat es ihm gleich. Von hier ging es wenigstens dreißig Schritte senkrecht an Wall und Fels hinab. Zwischen der Stadtmauer und wogenden Weizenfeldern zog sich tief unten der schmale Fußweg dahin, auf dem sie gestern vom Fluss her gekommen waren. In einiger Entfernung sah Klara nun auch ihre Herberge, den windschiefen Fachwerkbau, der sich zwischen Stadtwall und Burghügel zu ducken schien.
Die Sonne stand hoch am Himmel. Nach ihrem Herumirren in den düsteren Gängen unter der Erde kamen ihr die hellen, warmen Sonnenstrahlen ganz unwirklich vor. Sie schaute verstohlen nach links und rechts – in dem überdachten Wehrgang waren weder Burgwächter noch Purpurkrieger zu sehen.
»Aber wie kommt man hier hinab?«, fragte sie.
»Ganz einfach«, sagte Hans. »Du setzt dich dort hinein und ich schaukele dich behutsam zu Tale.« Er deutete auf den Flechtkorb, der gerade unter ihnen vor der Mauer hing und die Form einer großen umgestülpten Glocke aufwies. Der Korb war durch ein armdickes Seil mit einem Flaschenzug verbunden, der zu
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