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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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lose Blätter unter der Umschnürung hervorziehen und anschließend an die richtige Stelle zurückschlängeln, das wusste Skythis bestimmt so gut wie er selbst. Und doch musste er mit dem Unterzensor sprechen, beschloss Hannes, auf die Gefahr hin, vor Skythis als Lügner dazustehen. Zuerst würde er noch abwarten, ob die Hauptzensoren
Das Buch der Geister
nicht vielleicht doch verboten, womit allerdings überhaupt nicht zu rechnen war. Dann jedoch würde er sich vor Skythis auf die Knie werfen und ihn beschwören, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, damit dieses teuflische Schriftstück verboten und vernichtet wurde, wie der verehrte Unterzensor es in seiner Weisheit empfohlen hatte.
    Drei Tage darauf, als Hannes am frühen Morgen in die Halle der Zensurbehörde trat, hörte er wiederum seinen Namen rufen: »Hilfsschreiber Mergelin!«
    Es dauerte eine Weile, bis er, zwischen den schwarzen Säulen umherirrend, den Rufer ausfindig gemacht hatte. Es war abermals der Registraturbeamte Waldo Mulhardt, der ihm erst letzte Woche einen ganzen Manuskriptstapel aufgehalst hatte, mit dem
Buch der Geister
obenauf. Doch diesmal hielt Mulhardt nur ein schmales Schriftstück in Händen, und er machte auch keinerleiAnstalten, Hannes entgegenzugehen. Vielmehr stand er ganz ruhig an der linken Seitenwand der Halle, unweit der Tür, die zur Registraturabteilung führte. »Hilfsschreiber Mergelin«, wiederholte er. »Gut, dass ich dich hier abgepasst habe.« Neben ihm stand ein sehr viel kleinerer Mann, der die Arme vor der Brust verschränkt hielt und dessen Gesicht Hannes nicht gleich erkennen konnte.
    Langsam näherte er sich den beiden und seine Sorgen wurden mit jedem Schritt noch ein wenig größer: Der kleinwüchsige Mann, der neben dem beleibten Mulhardt geradezu zwergenhaft wirkte, war niemand anders als Dorian Doring, Sekretär der Hauptzensurabteilung.
    »Na, Mergelin, da hätte dich ja beinahe noch dein eigener Schatten überholt.« Doring tastete sich mit einer gezierten Bewegung über die Perücke. »Nichts für ungut – jeder hat seine Schwächen.« Er deutete auf das Schriftstück und Mulhardt streckte es sogleich Hannes entgegen.
    »Sekretär Doring hat mir dieses Buch gerade übergeben«, sagte der Registraturbeamte. »Bring es in den zweiten Stock, Hilfsschreiber Mergelin – in die Befreiungsabteilung, du weißt schon.«
    Das Buch der Geister
, Hannes erkannte es sofort an dem Umschlag aus hellem, viel zu biegsamem Leder. Seine Hand zitterte, als er das Buch entgegennahm. »Der Druck«, presste er hervor, »wurde genehmigt?«
    Doring und der Registraturbeamte tauschten spöttische Blicke. »Hauptzensor Thomasius Bornfeld«, antwortete der Sekretär, »hat sogar mit besonderem Vergnügen darin geblättert und erklärt, dass es recht artig erdichtet sei.«
    »Also geh schon, Mergelin«, kommandierte Mulhardt. »Der Unterzensor Skythis ist erkrankt. Du bist vorläufig der Befreiungsabteilung zugewiesen.«
    »Erkrankt – seit wann denn, wenn ich fragen darf?« In den letzten Tagen hatte Hannes den Unterzensor nicht zu sehen bekommen, aber bislang hatte er sich nichts weiter dabei gedacht.Zusammen mit etlichen anderen Hilfsschreibern hatte er im Archiv ausgeholfen, wie jedes Mal, wenn ein größerer Schwung verbotener Bücher eingelagert wurde und entsprechende Mengen an Archivzetteln auszufüllen waren.
    »Na, was weiß ich denn.« Mulhardt versuchte, ihn beidhändig fortzuwedeln, aber Hannes blieb wie festgewurzelt stehen. Seufzend legte der Beamte seine Stirn in Falten. »Seit vorgestern, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht.«
    Hannes rührte sich weiterhin nicht von der Stelle. Fieberhaft überlegte er, was das alles zu bedeuten hatte und wie er zumindest das Allerschlimmste jetzt noch verhindern könnte – dass
Das Buch der Geister
auf der Stelle »befreit« wurde, also die Druckgenehmigung erhielt. War Skythis bei seinen Oberen etwa in Ungnade gefallen? Oder war er tatsächlich erkrankt und nur deshalb zu Hause geblieben? Hannes konnte sich nicht vorstellen, dass Skythis im Bett blieb, nur weil er Husten oder Bauchschmerzen hatte – der Unterzensor war ein fanatischer Bücherjäger, der sich sogar mit Fieber und Schüttelfrost hinter sein Pult schleppen würde.
    »Ist noch was, Mergelin?«, fragte Doring.
    Hannes zermarterte sich den Kopf und da endlich kam ihm eine Idee. Er rang sich ein beflissenes Lächeln ab. »Ihr habt doch sicher noch mehr Schriftstücke für den zweiten Stock?«, sagte er

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