Opus 01 - Das verbotene Buch
verschließen sollte, kann eine Druckgenehmigung für das vorliegende Machwerk keineswegs in Betracht kommen. Der Beschluss der Hohen Behörde muss vielmehr lauten:
Primo – Der Druck ist zu verbieten, das Schriftstück nebst Original und etwaigen weiteren Abschriften ist einzuziehen und im Feuer zu vernichten.
Sekundo – Der Verfasser, benannt Valentin Kronus, ist der Hohen Behörde zwecks strenger Befragung und Unterweisung zuzuführen.
Nürnberg, den XII. August 1499 A.D.
Gez. Jan Skythis, Unterzensor«
Dieses Gutachten diktierte Skythis seinem bevorzugten Schreiber in die Feder und wies Hannes Mergelin an, das Buch mitsamt seiner Stellungnahme noch am selbigen Tag der übergeordneten Abteilung zu überbringen. Hannes fertigte in seiner schönsten Schrift eine Kopie an und legte sie dem
Buch der Geister
bei, das er sorgsam wieder mit der Flechtkordel verschnürt hatte.
Doch schon während er den Packen zur Hauptzensurabteilung im fünften Stock brachte, hatte er ein ungutes Vorgefühl. Die ehrwürdigen Hauptzensoren würden Skythis’ Antrag ablehnen, ja, sie würden sich über den Unterzensor lustig machen. Denn Jan Skythis war im ganzen Haus als fanatischer Poetenhasser verschrien und nicht einer der zwölf Hauptzensoren teilte seine Überzeugung, dass erdichtete Schriftstücke grundsätzlich von Übel seien. Unglücklicherweise durften die Hauptzensoren über »Fälle von untergeordnetem Interesse« eigenmächtig entscheiden, ohne sie dem Obersten Reichszensor vorlegen zu müssen. Und gerade erdichtete Manuskripte wie das äußerlich so harmlos daherkommende
Buch der Geister
galten in aller Regel als solcherlei nachrangige Fälle, deren Verbreitung nach mehr oder wenigerflüchtiger Prüfung der Aktenlage meist genehmigt wurde. Was konnte es schließlich schaden, wenn die Leute Fabeln lasen, in denen sich Fuchs und Hase mit menschlichen Stimmen unterhielten oder tapfere Jünglinge auszogen, um Feuer speiende Ungeheuer zu besiegen? Auch gegen Liebesgeschichten war nach Ansicht der Hauptzensoren wenig einzuwenden, solange die Verfasser nur die Regeln von Gesetz und Anstand wahrten. Und ebenso wenig würden sie ein Schriftstück verbieten und verbrennen lassen, in dem ein närrischer Ritter durch seinen eigenen Schild in eine fabulierte Traumwelt hinüberkroch. Sofern in den Schwänken weder Kirche noch Kaiser verspottet und auch die armen Leute nicht ermuntert wurden, ihre Oberen mit dem Dreschflegel zu erschlagen, erteilten die Hauptzensoren fast immer die Freigabe zum Druck, ohne den Obersten Reichszensor mit derlei »harmlosen Possen« zu behelligen. Und erst recht, ohne sich um das Urteil eines Unterzensors zu kümmern, der als Poetenfresser bekannt war.
Der Spott, mit dem ihn der Sekretär im fünften Stock empfing, nährte Hannes’ Befürchtungen nur noch mehr. »Ah, von Skythis? Das wird spaßig.« Der Sekretär war von kleinem Wuchs und großer Eitelkeit. Mit seiner gewellten Perücke und dem weiß gekälkten Antlitz sah er selbst wie aus einer nichtswürdigen Posse entsprungen aus. Dazu passte sein unwahrscheinlicher Name: Dorian Doring.
Er nahm das Buch mit dem obenauf liegenden Gutachten entgegen, begann sogleich darin zu lesen und lachte hämisch auf. »›Verwirrung stiften … Boden unterwühlen‹ … Sag einmal, Mergelin, könnte dein Herr Unterzensor nicht bei Gelegenheit ein paar neue Argumente ersinnen? Er tischt uns ja jedes Mal die gleiche Suppe auf.«
Hannes biss sich auf die Unterlippe. Der Sekretär hatte leider nicht ganz unrecht – ausgerechnet bei diesem Gutachten hatte sich Skythis wenig Mühe gemacht und fast nur seine Standardargumente aufgereiht, die er grundsätzlich gegen Erdichtetes insFeld führte. Die besondere Gefahr, die gerade von diesem so harmlos scheinenden Manuskript ausging, hatte Skythis offenbar nicht bemerkt oder jedenfalls in seinem Verbotsantrag nicht erwähnt. Und so war sich Hannes Mergelin, als er an diesem Abend nach Hause hinkte, nahezu sicher, dass sich die Hauptzensurabteilung über Skythis’ Gutachten hinwegsetzen und
Das Buch der Geister
zum Druck freigeben würde.
In seiner stickig heißen Kammer überlegte er hin und her, was er tun konnte, um das gefährliche Machwerk doch noch zur Strecke zu bringen. Wenn er dem Unterzensor anvertraute, was ihm letzte Nacht widerfahren war, würde Skythis ihn nur aufs Neue verdächtigen, dass er heimlich in dem Machwerk gelesen hätte. Auch ohne Kordel oder Siegel zu beschädigen, konnte man einzelne
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