Opus 01 - Das verbotene Buch
vergeblich. Erst als er es schon beinahe aufgeben wollte, entdeckte Hannes am Torpfosten von Haus Nr. 17 ein fast unleserlich eingerostetes Schildchen: Skythis, Hintertür .
Er trat durch das Tor in eine düstere Passage. Die Knie wurden ihm nun doch ein wenig weich – was würde der Unterzensor sagen, wenn ihn sein Hilfsschreiber Johannes ohne jede Vorankündigung zu Hause aufsuchte? Hannes stellte sich vor, wie ihm Skythis im Schlafrock, mit Triefnase und fiebrig glänzenden Augen öffnen und seine Miene sich noch mehr als gewöhnlich verfinstern würde, wenn er erkannte, wer da vor ihm stand. Aber da half alles nichts – Hannes musste ihm beichten, was geschehen war, und das Geisterbuch in seine Hände geben.
Die schwarze Tür am anderen Ende der Passage war mit rostigem Eisen beschlagen. Hannes glaubte schon, dass er sich doch geirrt haben müsste – die Tür sah aus, als ob sie in einen Kohlenkeller, wenn nicht in etwas Ärgeres führte. Aber da entdeckte er auf dem Türholz den wohlbekannten eckigen Schriftzug: Jan Skythis . Genauso pflegte der Unterzensor seine Gutachten zu unterzeichnen, nachdem Hannes sie in seiner schönsten Schrift kopiert hatte. Offenbar hatte Skythis seinen Namen mit dem Messer in die Tür gekerbt, so als ob die ein hölzerner Buchumschlag wäre.
Hannes Mergelin griff zum Türklopfer und ließ ihn auf den Schriftzug niedersausen.
Eine halbe Ewigkeit lang geschah überhaupt nichts. Nur das Echo von Hannes’ Klopfen rollte hinter der Eisentür grollend hin und her. Oder war es Hannes’ Herz, von dem diese donnernden Schläge herrührten?
Er wollte sich schon davonschleichen, das Bündel felsenschwer auf seiner Schulter. Doch da vernahm er drinnen Schritte wie aus weiter Ferne. Jemand schien Stufen emporzusteigen, dann erklang eisernes Klirren. »Wer da?«, hörte Hannes rufen.
Er bückte sich und versuchte durchs Schlüsselloch zu spähen, aber dahinter war alles schwarz. »Ich bin es, Herr Unterzensor«, rief er, »der Hilfsschreiber Johannes Mergelin!«
Noch während Hannes Antwort gab, wurde der Schlüssel ins Schloss gestoßen. Die Tür ging einen Spaltbreit auf, und die Gestalt, die dahinter zum Vorschein kam, schien Hannes im ersten Erschrecken vollkommen fremd. Die Haare gesträubt, die Augen rot entzündet, Kinn und Wangen mit Stoppeln übersät, so stand der Unterzensor vor ihm, eine fleckig graue Pferdedecke um die Schultern gehängt. »Was willst du?«, fragte er, und sein Blick ging an Hannes vorbei in den Torgang, so als ob er mit weiteren unliebsamen Besuchern rechnete.
»Bitte verzeiht, Herr Unterzensor. Etwas Furchtbares ist geschehen.« Die Stimme drohte ihm zu versagen. Unwirsch und zugleich zerstreut sah Skythis ihn an, und Hannes fürchtete schon, dass der Unterzensor ihm die Tür wieder vor der Nase zuschlagen würde. Mit zitternder Hand nahm er sein Bündel von der Schulter, schnürte es auf und ließ Skythis einen Blick hineintun. »
Das Buch der Geister
«, sagte er so gedämpft, wie seine Anspannung es erlaubte. »Es soll befreit werden und da habe ich …«
Wieder unterbrach er sich, denn wie sollte er benennen, was er Ungeheuerliches getan hatte: das Buch unterschlagen, entwendet, geraubt?
»Du hast es in Gewahrsam genommen – das ist gut, Johannes. Sehr gut sogar.« Skythis zerrte das Buch aus Hannes’ Bündel hervor. Auch die Hand des Unterzensors schien ein wenig zu zittern. Dabei sah
Das Buch der Geister
im dürftigen Abendlicht, das von der Gasse her in den Torgang fiel, wie ein ganz gewöhnliches Schriftstück aus. Keine Flammen züngelten, kein dämonisches Zischeln drang unter dem vielfach umschnürten Umschlag hervor.
Skythis machte eine unbeholfene Bewegung, die den Schlüsselbund in seiner Linken erklirren ließ. »Komm herein. Wir wollen kein Aufsehen erregen.«
Folgsam stolperte Hannes über die Schwelle. Hinter ihm verriegelte der Unterzensor gleich wieder die Tür. Für einen Augenblick standen sie in vollkommener Finsternis. Dann strich Skythis ein Schwefelholz an und im nächsten Moment flammte eine Kerze auf.
Rechts ging es durch eine Tür, die halb offen stand, in ein ebenerdiges Zimmer, doch Skythis wandte sich der ausgetretenen Steintreppe zu, die geradewegs unter die Erde führte. Die Sache schien Hannes wenig geheuer. Zögernd folgte er dem Unterzensor in den Keller hinab. Skythis schien heute nicht ganz er selbst zu sein.
Unten gab es eine rostige Gittertür, die mit widerwilligem Stöhnen aufging und die Skythis
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