OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
knusprigen Fisch und stillten ihren Durst mit kühlem Brunnenwasser. Doch obwohl sie nach dem Essen ihre Müdigkeit nur noch stärker spürten, gönnten sie sich weiterhin keine Ruhe.
Der schwierigste Teil stand ihnen immer noch bevor. Höchstwahrscheinlich würden sie mit der Niederschrift nun bei Weitem nicht mehr so glatt vorankommen wie bisher. Die dritte und die vierte Geschichte hatten sie jeder nur ein einziges Mal gelesen.
»
Tropfen rannen Ritter Laurentius aus Hemd und Haaren, während er über die Wiese seiner Kindheit auf Burg Answer zuging
«, sagte Amos, kaum dass sie den letzten Happen heruntergeschlungen hatten.
»
Seine Blicke hafteten auf der Silhouette des altehrwürdigen Gemäuers, in dem er einst aufgewachsen war
«, antwortete Klara,während sie über den Hof zurück zum Schreibpult gingen, »
so wie vor ihm sein Vater, sein Großvater und alle väterlichen Vorfahren bis in unvordenkliche Zeiten zurück.
«
Zu ihrem freudigen Erstaunen bereitete es ihnen keinerlei Schwierigkeiten, die Geschichte
Vom Felsen, der ein Fenster war
aus dem Gedächtnis aufzuschreiben. Ganz im Gegenteil – sie beide sahen auf einmal alles so genau vor sich, als ob die Geschichte Satz für Satz vor ihnen in die Luft geschrieben stünde. Sie brauchten nur noch abzuschreiben, was sie vor sich sahen, und so sprachen sie sich die Sätze nicht einmal mehr wechselweise vor. Seite um Seite schrieben sie mit fliegenden Fingern nieder. Sie schrieben sich in einen wahren Rausch hinein, und wer von ihnen gerade die Feder führte, gab sie erst wieder her, wenn ihm die Hand vom gehetzten Hin- und Herfahren taub geworden war.
Der vierte Crutsmar sah ihn sinnend an, ehe er Auskunft gab
, schrieb Klara schließlich
. Frag den Fährmann, der stromaufwärts fährt.
Über dem einstigen Mühlhof ging die Sonne unter.
»Keine Pause jetzt«, sagte Amos.
Klara nickte. Ihre Augen waren so leuchtend grün wie der Waldsee bei Burg Answer. Sie reichte ihm die Feder, und Amos tunkte sie ins Tintenfässchen und schrieb:
Vom Fährmann, der stromaufwärts fuhr
. Und dann schrieb er weiter und weiter, ohne noch irgendetwas anderes wahrzunehmen. Er sah die Seiten aus dem
Buch der Geister
vor sich schweben und ein wenig darunter den Stapel leerer Blätter auf dem Schreibpult. Er tunkte die Feder ein und schrieb und schob das oberste Blatt ungeduldig zur Seite, wenn es vollgeschrieben war. Und erst als seine fühllosen Finger den Federkiel nicht mehr festhalten konnten, erwachte er wie aus einem Fiebertraum und überließ Klara das Pult. Und ihr erging es ebenso – sie schrieb und schrieb und hörte erst wieder auf damit, als die Nacht halb vorbei und die Geschichte schon fast wieder vollständig war.
Im Schein einiger Laternen und Kerzen, die sie zwischen den Trümmern aufgetrieben hatten, schrieb Amos schließlich den letzten Satz aus der vierten Geschichte nieder:
»Flüstert weiter, liebster Laurenz«, sagte sie, »niemals vorher habe ich so köstliche Verse gehört.«
Amos ließ die Feder aufs Pult fallen und schaute Klara an. »Wir haben es geschafft«, sagte er, »wir haben es wahrhaftig geschafft!«
Er fasste sie bei der Hand und abermals liefen sie hinaus auf den Hof. Der Himmel war mit Sternen übersät, und die Wolken, in die sich der Mond gehüllt hatte, sahen heute fast wie ein Brautschleier aus.
Jedenfalls kam es ihnen beiden so vor.
Amos zog Klara an sich und küsste sie zärtlicher als jemals vorher.
»Küss mich weiter, liebster Amos«, flüsterte sie, als er seine Lippen irgendwann von den ihren löste, »niemals vorher habe ich so köstliche Küsse geschmeckt.«
Das ließ sich Amos nicht zweimal sagen, und höchstwahrscheinlich hätten sie die ganze restliche Nacht in dieser Weise verbracht – einander geküsst und liebkost und verliebtes Zeug in die Ohren geflüstert. Aber sie hatten seit drei Tagen und Nächten nicht mehr geschlafen, und kaum hatten sie sich draußen bei ihren Pferden behaglich ins Gras gebettet, da fielen ihnen beiden die Augen zu.
So wie Laurentius Answer habe auch ich meine Liebste gefunden, dachte Amos noch. Und trotz aller Feinde und Gefahren haben wir Kronus’ Lebenswerk vor der Vernichtung bewahrt. Wenn nur auch Ihr noch am Leben wäret, geliebter Herr – unser Glück wäre vollkommen.
8
A
mos erwachte
, weil irgendjemand ihn gegen die Schulter stupste und ihm gleichzeitig ins Ohr blies. »He, lass das«, murmelte er schlaftrunken. Er machte ein Auge halb auf und gleich wieder zu. Sein
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