OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Pferd stand neben ihm, den Kopf zu ihm herabgesenkt, und schubste und pustete ihn aus riesengroßen Nüstern an. »Lass mich schlafen, wackerer Rappe, ja?«
Neben ihm lag Klara in tiefem Schlaf. Der Himmel über ihnen fing eben erst an, sich bleigrau zu verfärben – druckletterngrau, dachte Amos. Sein Herz begann rascher zu schlagen. Aber wenn der Tag, sagte er sich dann, gerade erst heraufdämmerte, dann konnte der Setzer Hebedank ja allerfrühestens morgen bei ihnen eintreffen – selbst wenn Marek und Bardo ihm heute gleich in der Frühe Amos’ Brief überreichen würden und Hebedank alles stehen und liegen lassen würde, um auf dem schnellsten Weg nach Hohenstein zu eilen.
Amos rekelte sich im Gras hin und her, doch eine bequeme Schlafhaltung konnte er nicht mehr finden. Außerdem stupste ihn sein verrückter Rappe unentwegt weiter gegen die Schulter und nun erklangen auch noch Hufschlag und Räderrattern vom Wald her.
Die Bücherjäger hatten doch nicht etwa ihre Fährte wiedergefunden?
Diesmal öffnete Amos beide Augen, drehte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf in die rechte Hand. Seltsam, wie ausgeruht er sich fühlte – dabei konnten sie doch höchstens drei oder vier Stunden geschlafen haben! Klara lag neben ihm auf dem Rücken und lächelte im Schlaf. Am liebsten hätte er sie gleich wieder auf ihre Lippen geküsst, um sich aufs Neue davon zu überzeugen, dass sie keineswegs hart und kalt wie Messing waren. Sondern im Gegenteil federnd weich und …
Das Trappeln und Rattern vom Wald her wurde immer lauter. Der Rappe stieß ein schrilles Wiehern aus und die Füchsin antwortete mit einem noch grelleren Ruf. Der Rappe galoppierte zuihr hinüber und dann kamen sie beide zu Amos und Klara zurück und führten sich immer sonderbarer auf.
Sie liefen im Kreis um Klara und Amos herum, stupsten sie mal an den Füßen, dann an Kopf oder Schultern. Und dabei schnaubten und wieherten sie, als ob sie ihren Pferdeverstand verloren hätten.
»Sie freuen sich«, sagte Klara mit schläfriger Stimme und lächelte zu Amos hinauf. »Aber worüber?«
»Da kommt irgendjemand mit einer Kutsche«, antwortete Amos, »wahrscheinlich wollen sie uns einfach warnen.« Aber es sah wirklich mehr nach einem ausgelassenen Freudentanz aus, was die beiden Pferde da um sie herum vollführten.
Amos und Klara rappelten sich auf, zupften sich Grashalme aus Gewändern und Haaren. »Ich fühle mich«, sagte Klara, »als ob ich mindestens einen Tag und eine Nacht lang geschlafen hätte. So frisch und vor allem so ausgehungert.«
Gerade in diesem Augenblick kam ein Einspänner aus der Wegbiegung hervor und hielt auf die wacklige kleine Holzbrücke über dem Gründleinsbach zu. Den Wagen lenkte ein stämmiger Mann mittleren Alters. Sein Haupthaar war bereits gelichtet und eher grau als braun. Beim Anblick der rußigen Ruine nahm sein ohnehin griesgrämiges Antlitz einen noch düstereren Ausdruck an. Amos erkannte ihn gleich wieder: Es war Hebedank – oder vielmehr jener Setzer aus der Koberger’schen Druckerei, dem er damals den Brief »für Hebedank« zustellen sollte. Obwohl es laut Kronus gar nicht sein wirklicher Name war.
Amos und Klara liefen ihm über die Wiese entgegen, doch Hebedank streifte sie nur mit einem mürrischen Blick und hielt weiter auf das Brücklein zu. »Wartet!«, rief Amos. »Ich habe Euch den Brief geschickt!«
Sichtlich widerwillig zügelte Hebedank sein Pferd. Es war von unbestimmbarer Farbe – eher staubgrau als schlammbraun – und es kam Amos genauso griesgrämig wie sein Herr vor. »Was soll das heißen – du hast mir den Brief geschickt?«, knurrte Hebedank.»Wozu dieses Lügenspiel? Und wo ist überhaupt Kronus?« Setzer und Pferd schauten Amos vorwurfsvoll an.
»Lügenspiel?«, wiederholte Amos. »Wie meint Ihr das? Ich habe Euch nur geschrieben, dass Ihr dort erwartet werdet, wo alles anfing – mit dem Buch, meinte ich natürlich, aber das habt Ihr Euch ja offenbar hinzugereimt.«
Hebedank warf eine Hälfte seines bleifarbenen Umhangs über die Schulter zurück und kramte umständlich in seinem Wams herum. Weiterhin saß er hoch auf dem Wagenbock und schien auch nicht gewillt, abzusteigen, solange er keine zufriedenstellenden Antworten erhalten hatte. Aber Antworten worauf?
Schließlich zog er ein zerknittertes Papierfetzchen hervor. »Diesen Brief hast du mir geschrieben, Bursche?«
Amos nickte. »Ja, Herr, und ich bin Euch sehr dankbar, dass Ihr so rasch gekommen seid. Wir beide
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