OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
zu ergeben schien. Wen auf dieser Erde hatte der Fürstbischof von Bamberg denn überhaupt zu fürchten – wenn er doch laut Klara einer der mächtigsten Herrscher im Deutschen Reich war?
Sosehr sich Amos auch den Kopf zerbrach, er kam einfach nicht darauf. Wahrscheinlich konnte ja die päpstliche Inquisition selbst einem so gewaltigen Mann wie Fürstbischof Georg Schwierigkeiten bereiten. Aber gerade dem Inquisitor Leo Cellari sollten die beiden Soldaten doch ihren Gefangenen überbringen – ihn, Amos von Hohenstein, der in den Augen des Fürstbischofs zweifellos ein besonders gefährliches Mitglied der Bruderschaft Opus Spiritus war. Dabei hatte dieselbe Bruderschaft vor drei Jahren Amos’ Eltern ermorden lassen, und erst als er selbst längst unrettbar in die Machenschaften der mysteriösen Loge verstrickt war, hatte Amos erfahren, dass es diesen geheimen Orden namens Opus Spiritus überhaupt gab.
Amos schnitt wilde Grimassen, um die Binde über seinen Augen zu lockern. Er runzelte die Stirn, riss die Augen auf, kniff sie wieder zu und versuchte sogar, mit den Ohren zu wackeln. So schaffte er es tatsächlich, die Binde um anderthalb Zoll nach oben zu verschieben. Aber wie er seine Augen auch verdrehte – sehen konnte er nach wie vor so gut wie nichts.
Allem Anschein nach fuhren sie ihn in einem Planwagen durchs Land. Er lag auf einer Schicht aus Tuchballen und sonstigen Bündeln, die mit Vogelfedern oder irgendeinem anderen weichen Zeug vollgestopft waren. Weitere Ballen und Rollen waren um ihn herum aufgeschichtet – auch ohne die elenden Eisenfesseln, die ihm Hände und Füße zusammenschnürten, hätte er sich kaum von der Stelle rühren können.
Wenn er die Augen weit genug verdrehte, um unter der Binde hindurchzuschielen, konnte er verschwommene Schatten wahrnehmen, die einer nach dem anderen vor der Wagenplane vorübertanzten. Riesenhafte Bäume, schien es ihm – offenbar fuhren sie auf holprigen Wegen durch dichten Wald. Seit einer geraumen Weile ging es überdies steil aufwärts – der Wagen ächzte zum Erbarmen, die Kutschpferde kamen nur noch im Schritttempo voran und alle paar Augenblicke ließen die Soldaten vorne die Peitsche schnalzen und feuerten die Gäule mit dumpfen Zurufen an.
Allem Anschein nach mieden Waldo und Franz die Handelsstraße, die durch Täler und Ebenen über Forchheim nach Nürnberg führte. »Auf sicheren Nebenwegen«, hatte der Fürstbischof angeordnet, sollten sie ihre menschliche Fracht zum Inquisitionskerker am Nürnberger Liebfrauenplatz bringen – und wieder fragte sich Amos, weshalb der Landesherrscher seine eigenen Soldaten angewiesen hatte, sich wie lichtscheues Gesindel auf mühseligen Umwegen durchzuschlagen.
Er dachte darüber nach und versuchte gleichzeitig, den ekelhaften Geschmack des vielfach zerkauten Lederriemens in seinem Mund zu ignorieren. Genauso wie den nagenden Hunger, den noch quälenderen Durst und die Ketten, die ihm die Haut an den Handgelenken wund scheuerten. In seinen Füßen kribbelte es, als ob tausend Ameisen auf seinen Fußsohlen herumkrabbeln würden – da unten hatte Waldo seine Fesseln viel zu eng zusammengezurrt, aber Amos war klar, dass er durch lautes Stöhnen und Kettenklirren seine Lage nur noch verschlimmern würde.
Der schnauzbärtige Soldat war sowieso schon wütend, weil er diese beschwerliche und gefahrvolle Reise auf sich nehmen musste. Waldo wartete bloß darauf, dass ihr Gefangener ihm einen Vorwand bot, um seinen Zorn an ihm auszulassen. Aber das alles, sagte sich Amos, spielte sowieso keine Rolle mehr.
Morgen, spätestens übermorgen würden sie ihn in die Hände des Inquisitors Cellari geben. Weshalb also sollte er sich heute über zu eng geschnürte Fesseln beklagen – wenn er in allenfalls zwei Tagen im Folterkeller sitzen würde? Cellaris Schergen ausgeliefert, die ihn mit glühenden Nägeln und Zangen martern würden, bis er endlich gestand, wer die Hintermänner des Opus Spiritus waren? Dabei wusste er selbst noch weniger als der Inquisitor, was es mit diesem Geheimorden auf sich hatte, von wem er gegründet worden war und was diese dunklen Brüder mit dem
Buch der Geister
letzten Endes bezweckten.
Aber natürlich würde Cellari ihm kein Wort glauben. Und so würden sie ihn weiter und weiter martern, ihn aufs Rad flechtenund an der Seilwinde emporziehen, bis ihm die Knochen aus den Gelenken sprangen, und andere Grässlichkeiten mehr. Auf dem eisernen Streckbett würde er sich voller Sehnsucht an diese
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