OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
es dunkle, zerstörerische Gaben waren. »Ein wenig wie die Engel« werde Amos sein, wenn er erst das ganze
Buch der Geister
gelesen und zuinnerst verstanden hätte – das hatte Kronus einmal zu ihm gesagt. Aber »wie die Engel« konnte mancherlei bedeuten – schließlich kamen in der Bibel auch Engel der Verheerung vor, die Menschen töten oder zu Steinsäulen verwandeln konnten.
»Du sollst uns nicht anstarren, Teufelsbursche!«, schnauzte Waldo.
Folgsam senkte Amos den Kopf. Offenbar glaubten die Wächter, dass er die teuflische Gabe des »eindringenden Blicks« besäße, und auch in diesem Punkt hatten sie wohl nicht ganz unrecht. In den Tagen, die er hier unten verbracht hatte, hatte sich Amos mehr als einmal gefragt, ob er mittlerweile genauso brennende Flammenaugen hatte wie der furchtbare Magier Faust.
Aber an Faust und an jene magische Reise in dunkelste Vorzeit, auf die ihn der mächtige Zauberer geschickt hatte, wollte er jetztwirklich nicht denken. In seinem Kopf erhob sich dann immer ein sausender Schwindel, und ihm war, als ob er kopfüber in einen schwarzen Abgrund stürzen müsste – einen bodenlosen Schlund, der sich unter seinen Füßen und gleichzeitig in seinem eigenen Innern befand.
Mit rostigem Kreischen drehte sich der Schlüssel, und zum ersten Mal, seit Amos eingekerkert worden war, ging seine Zellentür auf. Unter halb gesenkten Lidern sah er zu, wie Franz und Waldo in sein Gefängnis traten, wie der eine ein Tuch und der andere einen breiten Lederriemen unter seinem Umhang hervorzog. Sie verbanden ihm die Augen und knebelten ihn mit dem Riemen, der widerlich schmeckte – aber auch nicht ekelhafter als die Suppe, die ihm der uralte Verlieswärter immer durch die Luke am Fuß seiner Kerkertür geschoben hatte. Eine schlammtrübe Brühe, in der Kartoffelschalen und weitaus ärgere Brocken schwammen – doch nach anfänglichem Sträuben hatte Amos die gräuliche Tunke immer bis auf den letzten Tropfen in sich hineingeschlürft.
»Mitkommen!«, befahl Waldo. Sie packten ihn bei den Armen und zerrten ihn mit sich. Ein gutes Dutzend Schritte weit, dann wurde er zurückgerissen und mit dem Rücken gegen eine raue Steinwand gedrückt. »Stehen bleiben!«, kommandierte der schnauzbärtige Wächter.
Eine Tür wurde geöffnet und kurz darauf ertönte lautes Klirren. Amos erschauerte – schon der dunkle, scheppernde Klang ließ erahnen, wie schwer und rostig die Ketten waren, die sie ihm jetzt um seine Hand- und Fußknöchel schlingen würden.
»Sieh nach, ob die Pferde angeschirrt sind«, sagte Waldo, der bei den beiden offenbar den Ton angab, obwohl er so viel jünger war als Franz. »Wenn die Karre fertig ist, gib mir ein Zeichen – dann komme ich mit dem kleinen Teufel hoch.«
Schritte entfernten sich nach links, die Treppe hinauf – das musste der Wächter Franz mit dem gramzerfurchten Gesicht sein, dessen Stimme immer so bekümmert klang.
»Versuch am besten, bald einmal zu fliehen, Teufelchen«, hörte er Waldos raue Stimme an seinem Ohr. »Du tust mir damit einen großen Gefallen. Und weißt du auch, warum?« Er unterbrach sich und schien darauf zu warten, dass sein Gefangener eine Antwort durch seinen Knebel stöhnte. Doch Amos zuckte nicht einmal mit den Schultern. »Ganz einfach«, fügte der Wachsoldat schließlich hinzu und sein stinkender Atem fuhr Amos in die Nase. »Dann kriegst du meine Axt ins Kreuz und ich brauche nicht tagelang Straßenstaub fressen.«
Er wand eine Kette um Amos’ Handgelenke, eine zweite um seine Fußknöchel und schloss die losen Enden jeweils mit einem Vorhängeschloss zusammen. Eine dritte Kette hängte er in die Handfesseln ein, und als von irgendwo über ihnen ein Pfiff ertönte, schlang sich Waldo das klirrende Ende um eine Hand. »Auf geht’s, Teufelsjunge!«
Wie einen Hund an der Leine zog er Amos hinter sich her.
2
D
ie beiden Soldaten
saßen vorn auf dem Kutschbock, die meiste Zeit schweigend. Ab und an ließ Franz ein grämliches Gemurmel hören, doch Waldo fuhr ihm jedes Mal grob übers Maul. »Halt die Augen offen, Waschweib, und die Schnauze zu.«
Amos spürte die Anspannung der beiden Männer, auch wenn er nach wie vor nicht verstand, wovor sie sich eigentlich fürchteten. Und noch weniger, weshalb sie als reisende Kaufleute verkleidet waren, obwohl sie im Auftrag des Landesfürsten einen Gefangenen nach Nürnberg bringen sollten.
Es ergab einfach keinen Sinn, so wie allerdings nur allzu vieles in diesem Verwirrspiel keinen Sinn
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