Orangenmond
Emil bereits an mit seiner egoistischen Suche? Er beraubte sich gerade selbst der Vaterrolle, des guten Gefühls der Verantwortung, der vorbehaltslosen Liebe und schien es gar nicht zu merken.
»Willst du Emil etwa mitnehmen? Für uns wird das schon hart genug!«
»Aber wo sollen wir ihn sonst lassen? Im Hotel, etwa alleine am Pool?«
»Was ist mit Helga? Bleibt sie in Rom?«
»Helga bleibt in Rom! Die haben wir nun wirklich lange genug ertragen.«
»Lass uns das mit dem Grundstück so schnell wie möglich erledigen«, bat Eva.
»Okay, versprochen! Sag Mimmo bitte, er soll Luft in die Trulli lassen und alles nach draußen in die Sonne stellen. Je besser es aussieht, desto mehr können wir verlangen.«
»Papa, ich habe so einen Durst, ich kann nicht mehr weitergehen!«
»Komm – ein kalter Drink kann jetzt nicht schaden!« Georg legte den Arm um Eva, gemeinsam steuerten sie einen frei werdenden Tisch an. Vater, Mutter, Kind, dachte Eva, geklaut, gelogen, falsch.
Es war tatsächlich ein Käfig, der den dreieckigen Largo Gia como Leopardi beherrschte, einen Park, eingezäunt wie eine abgesperrte Manege. Vor dem Panella standen die Leute in schwarzen Trauben um die Stehtische, es roch köstlich nach Brot und Knoblauch, orange leuchteten die bauchigen Aperol-Spritz-Gläser in ihren Händen. Sitzend oder stehend wurde gekaut, geredet und gelacht, vereinzelte Buggys wurden mit der freien Hand hin und her geschoben, um die Kleinen darin zum Einschlafen zu bewegen. Emil schaute begehrlich auf die Schüsseln mit hellgelben Chips, die ein Kellner auf einem Tablett durch die Menge trug.
Da war Konrad auch schon, er ruckte und zuckte ihnen entgegen, ohne dass ihm das besonders unangenehm zu sein schien.
» Gruezi , meine Lieben!«
»Lass uns am besten gleich nach nebenan gehen, ich kann jetzt nichts trinken, ohne zu essen!«, bat Eva. »Und Emil fällt auch gleich um!«
Emil grinste. »Genau!«
»Kein Problem«, sagte Konrad und schaute enttäuscht auf Evas Haar, das sie offen trug. Dennoch legte er den Arm um ihre Schultern und führte sie in das Restaurant nebenan. Er hatte den besten Platz, gleich im linken Erker des hell ausgeleuchteten, sehr hohen Gastraums, reservieren lassen. Kellner kamen herbeigelaufen und rückten Teller und Gläser zurecht.
Konrad schob den Stuhl für Eva zurück. »Hier, setz dich neben mich! In Rom muss man Artischocken essen, alla giudia , frittiert. Habe schon eine kleine Vorspeisenauswahl geordert, wenn ihr nichts dagegen habt.«
»No, no, benissimo.« Georg griff nach der Karte, die auf dem Tisch lag, und diskutierte sie gemeinsam mit Konrad.
»Die arista con mele e prugne ist ein Gedicht! Schweinerücken mit Äpfeln und Pflaumen.«
»Oder coda alla vaccinara .«
»Was heißt das?«
»Ochsenschwanz. Ragout vom Ochsenschwanz.« Emil verzog das Gesicht und nahm auf Evas Anraten einen Risotto. Sie aßen die braun und vertrocknet aussehenden, aber sehr köstlichen frittierten Artischocken auf jüdische Art, sie redeten, sie tranken. Eva wagte sich an ein Glas Weißwein – der erste Alkohol seit dem Exzess in Perugia.
Thema am Tisch war das Essen und natürlich Milena. Konrad hatte unzählige Geschichten von ihr im Kopf, die er alle gern loswerden wollte. Eva beobachtete den aufgekratzten Kameramann, sie betrachtete Georg, der Konrad zwar zuhörte, aber währenddessen wieder aufstand und Teller fotografierte. Sie fragte sich, wann er endlich wieder ihre Beine streicheln oder ihre Hand nehmen würde.
Sie seufzte mehrmals und spielte mit Emil auf der Papiertischdecke Galgenraten. Emil hatte mit Georgs Hilfe das Wort »Breakdancewettbewerbsteilnehmer« aufgeschrieben, und Evas halber Strichmännchenkörper baumelte schon vom Galgen, als Helga das Lokal betrat und sich suchend umschaute.
Georg schüttelte den Kopf. »Keine zwei Stunden, und sie ist wieder da …«, murmelte er, machte sich dann aber glücklich über sein saltimbocca alla romana her. Helga steuerte auf sie zu, Konrad sprang auf und schob ihr einen Stuhl unter, auf dem sie sich mit einer anmutigen Drehung der Hüfte niederließ. »Kinder, buon appetito , das ist ja ein himmlisch schönes Plätzchen hier!« Ihre gute Laune war gespielt, so gut kannte Eva sie jetzt schon, um das sofort zu erkennen. Auch Georg wusste Bescheid.
»Was ist los, Helga, war dein Treffen nicht erfolgreich?«
Konrad hatte das unbenutzte Weinglas von Emils Platz genommen und ihr, ohne zu fragen, aus der Weißweinflasche eingeschenkt, die in
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