Orangenmond
einem am Tisch hängenden Kühler stand. Helga zeigte mit dem Zeigefinger auf ihn: »Guter Mann!« Dann holte sie tief Luft, trank und fing an zu erzählen. »Ralf Steinmetz heißt der Verleger, mit dem ich verabredet war, auch ein guter Mann, genau wie du, Konrad!«
Eva hörte ihr aufmerksam zu. So langsam begriff sie, wie Helga es schaffte, der Mittelpunkt jeder Runde zu werden, wenn sie es darauf anlegte. Sie machte Komplimente! Sie schmeichelte, und zwar sehr direkt, sie hörte zu – oder tat zumindest so.
»Nettes Lokal, aufmerksamer Ralf, aber wer sitzt mit am Tisch? Wen hat er mitgebracht?! Seine Frau!«
»Du willst, dass er ein Buch aus deinem Blog macht und verlegt, Helga. Oder willst du mehr von ihm?«
»Ha! Was für eine indiskrete Frage, typisch mein Sohn, aber ich bitte euch, ein geschäftliches Essen, da ist doch kein Platz für privaten Anhang!« Eva schaute hinüber auf Helgas großzügiges Dekolleté, das an diesem Abend eindeutig geschäftlichen Zwecken zuzuordnen war.
»Und der Anhang sah gut aus und war dreißig Jahre jünger als er?«, fragte Georg, während er über sein saltimbocca hinweg den Teller mit den frittierten Kürbisblüten zu umarmen schien.
»Ist ein G in dem Wort?«, fragte Eva schnell, um dann wieder Helga lauschen zu können.
»Nein!«, sagte Emil und malte genüsslich ein Bein an das Strichmännchen.
»Nein«, sagte auch Helga, »es war eine Person, die ich kannte! Und die wollte doch auch glatt mitkommen. Hierhin.« Sie kräuselte ihre korallenroten Lippen, das Weinglas hatte schon einen fleckigen Rand aus verschmierten Kussmündern. Helga hat es mal wieder geschafft, dachte Eva, alle Augen sind auf sie gerichtet. »Also jetzt haltet euch fest, Zufälle gibt es im Leben … Der liebe Ralf Steinmetz, übrigens auch sehr kräftig …«, sie strich Konrad kurz über den Ellbogen, »ist nämlich mit einer Deutschen verheiratet, einer Deutschen, die ich vor achtunddreißig Jahren in Paris kennengelernt habe. Meine ehemalige Freundin Brigitte Kuhlenbeck! Sitzt da mit am Tisch! Ist es zu fassen?« Nein. Eva beobachtete, wie Helga ihren Ausschnitt mit der Hand bedeckte und ihre Erregung mit einem weiteren Schluck Wein zu besänftigen versuchte.
»Eva, mach weiter«, mahnte Emil neben ihr.
»Ist ein W in dem Wort?«
»Sogar zweimal.«
»Ist ein O in dem Wort?«
»Nein!« Er strahlte. »Gleich hängst du ganz!«
»Und was war an Brigitte Kuhlenbeck so furchtbar? Erzähl mal.« Georg lehnte sich zurück und zwinkerte Eva zu. Eva lächelte erfreut, bevor sie sich innerlich anfauchte: Jetzt reicht dir schon ein einziges Zwinkern von ihm!
»Ach, eigentlich gar nichts«, Helgas Stimme beherrschte wieder den Tisch, »sie hat ja damals sogar manchmal auf dich aufgepasst, aber ich fand sie so, so, je ne sais pas , so aufdringlich. Grenzüberschreitend. Ja genau. Sie merkte nicht, wann das Private am Tisch nichts zu suchen hatte.«
»Wie alt war ich da? Zwei, drei?«
»Ja, das kommt hin, das war unsere Zeit da unten.« Helgas Mund lächelte, aber ihre Augen nicht. »Themenwechsel! Konrad! Hast du eigentlich auch einen Spitznamen? Und was ist dein nächstes Projekt?«, rief sie viel zu überschwänglich.
»Aber ja!« Konrad begann von dem niedlichen Namen zu erzählen, den seine Mutter ihm damals gegeben hatte: Koni, wer hätte das gedacht. Georg verwickelte den Kellner auf Englisch in eine Diskussion, ob er vielleicht der Küche einen Besuch abstatten dürfe.
Eva kämpfte plötzlich mit den Tränen, sie fühlte sich einsam und verlassen, sie war die einzige Person hier am Tisch, die es nicht schaffte, sich nur auf sich selbst zu konzentrieren.
»Du hängst, Eva!«, sagte Emil strahlend. »Jetzt bist du mit einem Wort dran. Aber schön schwer!«
Kinder lassen einen nicht zum Nachdenken kommen, wahrscheinlich schafft man sich alleine aus diesem Grund welche an, dachte sie. Guter Trick. Tief durchatmend wandte sie sich ihm zu und begann ein neues Wort auf die Papiertischdecke zu schreiben, das sie aber gleich wieder durchstrich: Narzisstischepersönlichkeitsstörung.
18
»Milena war einfach genial. Einmal hat sie … Emil, hör zu, jetzt kommt was von deiner Mama!« Sie waren bei der zweiten Flasche Wein, Konrad war schon leicht betrunken. »Also, uufpasse: Wir drehten ›Gino und die Frauen‹, einer der erfolgreichsten Filme in Italien übrigens, dadurch ist sie hier so bekannt geworden. La sirena tedesca hat sie in den Zeitungen gheiße. Einmal haben wir Fahraufnahmen
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