Orangenmond
Erster!«
Sie ging in die Knie und prüfte die restlichen Leinwände. Sie hatte richtig vermutet: Dazwischen steckten die Glasrahmen der Flurbilder. Sie schob zwei Leinwände auseinander – Milena mit einer Kaffeetasse an den Lippen, Milena in einem Trenchcoat auf einem roten Teppich, Milena in ihrer Rolle als Boxerin im Ring. Sie zählte die gerahmten Fotos. Zehn Stück.
Konrad liebt Milena immer noch, dachte sie, als sie den Weg in den großen Salon zurückging. Er hat sich eine Gedenkstätte eingerichtet, aus der seine Frau am Ende geflohen ist.
17
Nachdem Georg das Auto in einer nahen Garage »parkiert« hatte, führte Konrad sie in die Wohnung, die eine Straße weiter – im vierten Stock ohne Aufzug – lag. Sie war we sentlich bescheidener als seine, hatte zwei Schlafzimmer und eine Couch im Salon, die man ausziehen konnte. Wohnte hier wirklich jemand? Alles war sehr sauber, leer und etwas unpersönlich, sogar die Blumenkästen auf dem Balkon waren mit nichts außer steinharter Erde gefüllt, doch Eva gefielen die kargen Steinböden und die weißen Überzüge, die der Besitzer über Betten und Sofas geworfen hatte, und in einer Anwandlung von Opferbereitschaft erklärte sie sich einverstanden, im Wohnzimmer zu kampieren.
Konrad musste gehen, sie verabredeten sich zum aperitivo in einem Lokal, das am Largo Leopardi lag.
»Das Panella, da machen sie fantastisches Brot, Gebäck, Kuchen und alles Mögliche. Wir können dort etwas trinken und dann gleich nebenan zu Abend speisen. Ihr geht an meinem Haus vorbei, kommt auf die Via Merulana, links hoch, bis ihr an einen winzigen Park gelangt, eingezäunt wie ein Tigerkäfig. Das findet ihr!« Im Flur wandte er sich noch einmal Eva zu, die drei Haustürschlüssel von ihm in Empfang genommen hatte und nun in ihren Händen drehte.
»Machst du dich heute Abend ein bisschen hübsch?«
Irritiert schaute sie an sich herunter.
»Die Haare schön streng zurück? Noch ein bisschen strenger als jetzt mit dem Zopf. Dann siehst du ihr so ähnlich, bitte!«
Eva merkte, dass sie sich kaum noch beherrschen konnte. Entweder sie schrie ihn gleich an, oder sie lachte laut los! »Lass dich überraschen, wozu ich fähig bin!«, antwortete sie stattdessen. Sie machte die Tür hinter ihm zu und ging in das winzige Bad. Dort setzte sie sich auf den Rand der Sitzbadewanne und schaute sich grinsend und ungewohnt zufrieden mit sich selbst in dem kleinen Rasierspiegel an, der über dem Bidet hing. Da warst du ausnahmsweise einmal schlagfertig, dachte sie und starrte weiter in den Spiegel, bis Helga an die Tür klopfte.
»Ich will nicht drängeln, aber ich muss mich etwas res taurieren, der Termin heute ist wihiichtiihig.« Das letzte Wort zog sie in einem Singsang in die Länge.
Ausgehen! Anziehen! Mehr schminken als sonst! Eva öffnete ihren Koffer, schnüffelte an ihren schwarzen T-Shirts und beschloss, sobald wie möglich ein paar Sachen zu waschen. Sie waren in Rom, also musste es für heute Abend wieder das rote Kleid sein. Die Römerinnen waren bestimmt nicht in Jeans und T-Shirt unterwegs.
Eine halbe Stunde später scheuchte Helga sie alle aus der Wohnung. »Geht, geht, macht euch keine Sorgen um mich, ich bereite mich nur ein wenig vor. Zur Not weiß ich ja, wo ihr seid!«
Falls du Geld brauchst, dachte Eva, aber sie merkte, dass sie dabei lächelte. Sie bummelten mit Emil die Straße hinunter und landeten nach nicht einmal zweihundert Metern in dem Park, der ihnen von Konrad beschrieben worden war. »Parco di Colle Oppio«, las Eva neben dem Tor. »Dort hinten muss gleich das Kolosseum liegen.« Das Kolosseum war okay, an dem kam man einfach nicht vorbei in Rom. Es war sieben Uhr, noch sehr warm, ein leichter Wind fuhr durch die hohen Kiefern, Palmen und Zedern.
»Ich glaube, ich kann schon ein Stück davon sehen!«, rief Emil und näherte sich in gebückter Haltung und mit schnal zender Zunge einem jungen Hund, der in einiger Entfernung vor ihm herumtollte.
»Du hast sicher irgendetwas mitgehen lassen! Und ich frage mich, was!«, sagte Georg.
»Nein! Du?« So viel zum wortlosen Verständnis zwischen uns, dachte Eva.
»Ich war bei Konrad im Bad, da lagen zwar grässlich viele rote Haare im Abfluss, aber ich habe aufgepasst, als du mir neulich den Sachverhalt erklärt hast: Die ausgefallenen sind nicht wirklich gut zu gebrauchen!«
»Stimmt. Die sind für uns wertlos.«
»Ich hatte überlegt, seine Espressotasse mitzunehmen, aber das habe ich dann nicht mehr
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