Orchideenhaus
Zeitungen nicht richtig dargestellt. Es muss wirklich furchtbar sein! Pup hat mit eigenen Augen gesehen, wie eine Gruppe junger Nazis eine Synagoge in Brand gesteckt hat. Offenbar will Hitler die Juden auslöschen!«
»Das kann doch nicht sein.« Olivia legte die Arme um Venetia.
»Doch!«, schluchzte Venetia. »Mup ist gerade mit ihm oben und tröstet ihn. Er befand sich in großer Gefahr, ohne dass wir es wussten!«
»Gott sei Dank ist er sicher wieder daheim.«
»Ja, Gott sei Dank«, pflichtete Venetia ihr bei. »Was er gesehen hat … Er sagt, es war so brutal; das könnte er nie malen. Weißt du, dass es ungesetzlich ist, wenn Arier und Juden sexuell miteinander verkehren oder heiraten? Und dass in den vergangenen achtzehn Monaten unzählige Synagogen niedergebrannt wurden? Juden dürfen kein Radio besitzen und keine Schulen besuchen, in denen arische Kinder unterrichtet werden.«
Olivia lauschte schockiert. Erst nach einer Weile fragte sie: »Aber warum erfährt die Welt nichts davon?«
Venetia schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht; Pup auch nicht. Er hat vor, seine einflussreichen Politikerfreunde zu informieren. «
15
Harry Crawford wachte mit einem Gefühl tiefer Dankbarkeit dafür auf, zu Hause zu sein. Anders als bei vielen seiner Offizierskollegen, die nicht wussten, wie ihr Schicksal sich in den folgenden Monaten gestalten würde, stand das seine fest. Er sollte die Ausbildung einer Gruppe örtlicher Rekruten für das 5th Royal Norfolk’s übernehmen. Das bedeutete, dass er zumindest den Hochsommer in Wharton verbringen und in seinem eigenen Bett schlafen konnte.
Die Offizierskollegen hatten ihn wegen seines Glücks geneckt, denn einige von ihnen wurden an weit weniger angenehme Orte versetzt. Manch einer fragte sich, ob Harrys
Vater seine Verbindungen hatte spielen lassen, doch das bezweifelte Harry. Angesichts der Tatsache, dass die Deutschen jeden Moment in Osteuropa einmarschieren konnten, galten die Gedanken seines Vaters mit ziemlicher Sicherheit nicht dem körperlichen Wohl seines Sohnes.
Harry öffnete das Schiebefenster, lehnte sich hinaus, atmete den frischen, süßen Geruch des Jasmins ein, den seine Mutter in großen Beeten entlang der Terrasse gepflanzt hatte, und genoss diesen seltenen Moment der Ruhe. Obwohl es ihm lieber gewesen wäre, wenn der Ball für seine Cousine Penelope nicht ausgerechnet an seinem ersten Tag zu Hause stattgefunden hätte, weil er seine Pflicht tun und mit hässlichen jungen Frauen tanzen musste, war es schön zu sehen, dass das alte Haus zu neuem Leben erwachte. Außerdem wusste er, wie viel dieses Ereignis seiner Mutter bedeutete.
Unten herrschte rege Betriebsamkeit. Man hatte Hilfskräfte aus dem Dorf angeworben, die das eigene Personal bei den Vorbereitungen unterstützten. Möbel wurden durch die Eingangshalle geschoben und Stühle und Tische für die einhundertfünfzig Dinnergäste in den Ballsall gebracht. Nach dem Essen sollten die Gäste in den Salon oder, falls es ein lauer Abend war, auf die Terrasse gescheucht werden, damit man die Tische und Stühle im Saal wieder entfernen und die Kapelle ihre Instrumente aufbauen konnte.
Harry bahnte sich einen Weg durch das Chaos zum Ballsaal, froh darüber, dass Gott die Gebete seiner Mutter zu erhören und das launische englische Wetter den ganzen Tag über gut zu bleiben schien. Jack und sein Sohn Bill betraten die Terrasse mit Schubkarren voll bunter Blumen.
»Braucht ihr Hilfe, Jungs?«, fragte Harry.
»Danke, Master Harry, wir schaffen’s allein. Sie sind ja erst
gestern heimgekommen, also lassen Sie’s langsam angehen, Sir«, antwortete Jack und lüftete seine Mütze.
Ohne ihm Beachtung zu schenken, begann Harry, die Blumen auf die Terrasse zu stellen. »Du hast dich fürs 5th Norfolk’s gemeldet, stimmt’s, Bill?«, erkundigte er sich.
»Ja, Master Harry.«
»Dann werden wir uns wohl besser kennenlernen, denn ich soll eure Ausbildung leiten. Wir sehen uns am Montag in Dereham. Freut mich, dass mich dort ein bekanntes Gesicht erwartet. Du kannst mich den anderen vorstellen.«
Bill lächelte breit. »Und wir freuen uns, Sie als Ausbilder zu haben, Sir.«
Jack wendete den Schubkarren. »Bill, geh und sag Lady Crawford, dass die ersten Blumen da sind und ich die übrigen hole. Sie wird sicher herausfinden wollen, wo sie am besten zur Geltung kommen. Du weißt ja, wie eigen Lady Crawford bei ihren Blumen ist.« Jack zwinkerte Harry zu. »Danke für die Hilfe, Master Harry. Bis
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