Orchideenhaus
hinter Adrienne sah prächtig aus; die fünfzehn Tische waren mit gestärktem weißem Linnen, alten Kristallgläsern und, jeweils in der Mitte, Vasen, in denen frische Blumen aus dem Gewächshaus steckten, eingedeckt.
Adrienne liebte Momente, in denen alles bereit war, aber noch nichts begonnen hatte, und man voller Vorfreude hoffte, dass sich die Erwartungen erfüllen würden.
»Mutter, du siehst hinreißend aus«, bemerkte Harry, in seinem Smoking selbst ziemlich attraktiv.
» Merci, mon chéri . Ich genehmige mir gerade ein paar Augenblicke, um diesen wunderschönen Abend zu genießen.«
Harry zündete sich eine Zigarette an und ließ den Blick über die herrlichen Gärten schweifen. »Es ist so still … die Ruhe vor dem Sturm.«
Adrienne legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. »Seit du hier bist, habe ich dich kaum zu Gesicht bekommen. Wie geht es dir, mein Lieber?«, erkundigte sie sich.
»Gut, danke, Mutter.«
»Bist du glücklich?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte.
»Ja … Ich akzeptiere, dass ich nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe bin und nicht das Universum kontrolliere.« Er seufzte. »Man muss seine Pflicht tun.«
»Ach, Harry. Wenn die Welt nur anders wäre, aber dem ist leider nicht so. Mon dieu! « Adrienne schlug eine Hand vor den Mund. »Ich werde melancholisch, dabei sollte ich mich glücklich schätzen, dich hierzuhaben. Wir werden die gemeinsame Zeit genießen.«
»Keine Sorge!« Er schenkte ihr ein Lächeln.
»Dein Cousin Hugo kann heute Abend nicht kommen, weil er sich zur Ausbildung eines Bataillons in Wales aufhält. Also wirst du den ersten Tanz mit der armen Penelope absolvieren müssen, nicht dein Vater. Ich war vor ein paar Minuten bei ihr, um sie mir in ihrem Kleid anzusehen. « Adrienne zuckte anmutig mit den Achseln. »Obwohl es schwierig ist, ein Schweineohr in ein Seidentäschchen zu verwandeln, ist es uns – mir durch die Auswahl des Kleides und Elsie durch die Gestaltung ihrer Frisur – gelungen, sie vorzeigbar zu machen.«
»Dann hast du Wunder gewirkt, Mutter«, meinte Harry, der sich nur zu gut an seine unattraktive, pummelige Cousine erinnerte.
»Vielleicht entpuppt sie sich als Spätentwicklerin.« Adrienne ergriff Harrys Hand und drückte sie. »Ich muss los, chéri , nach deinem Vater suchen. Zuletzt habe ich ihn oben gesehen. Da war er gerade damit beschäftigt, sein Hemd auszuwählen. Er kann sein Glück kaum fassen, dass all die jungen Debütantinnen zu ihm ins Haus kommen, und fiebert dem Abend entgegen.« Adrienne hob eine Augenbraue. »Wir gönnen ihm das Vergnügen, n’est-ce pas ?«
Harry blickte ihr nach, wie sie über die Terrasse ging. Sie wirkte strahlend in ihrem safrangelben Seidenkleid, das ihre zierliche Figur bestens zur Geltung brachte. Die dunklen Haare waren zurückgesteckt, und große Diamantohrringe betonten ihren Schwanenhals. Harry überlegte, ob eine
so schöne Mutter möglicherweise ein Hindernis war, weil er sich schwer vorstellen konnte, dass irgendeine junge Frau es schaffte, es mit ihr aufzunehmen. Manchmal glaubte er fast, dass sein mangelndes Interesse am anderen Geschlecht daher rührte. Das magische Gefühl, das andere Männer als »Liebe« bezeichneten oder manche seiner Offizierskollegen auf einer niedereren, körperlicheren Ebene ansiedelten, kannte er nicht.
Olivia Drew-Norris, das Mädchen aus Indien, das er einige Monate zuvor kennengelernt hatte, entsprach seiner Vorstellung von einer attraktiven Frau noch am ehesten. Sie stand auf der Gästeliste, das wusste er, und vielleicht würde er mit ihr tanzen.
Da hörte er das Knirschen von Reifen auf dem Kies vor dem Haus, das das Eintreffen des ersten Gasts ankündigte. Die Zeit des ruhigen Überlegens war vorbei; Harry kehrte ins Haus zurück, um seine Pflicht zu tun.
16
»Menschenskind, Olivia! Siehst du aber heute hübsch aus!«, rief Venetia in Olivias Zimmer aus. »Du strahlst ja richtig! Ist das ein neues Kleid? Das Rosa passt genau zu deinem Teint. Und die Rosenblüten in deinem Haar sind umwerfend. Wer hat dir die Frisur gemacht?«
»Elsie, meine Zofe. Sie ist ein Schatz. Soll sie dich auch frisieren?«
Venetia warf die dichten schwarzen Haare in den Nacken und schüttelte den Kopf. »Nein, ich fürchte, Darling, der ›Hübsche-Prinzessin-Look‹ steht mir nicht. Wie gefällt dir mein Kleid?«
Venetia trug ein eng anliegendes goldfarbenes Etuikleid
mit tiefem Dekolleté. Sie sah atemberaubend, wenn auch in einem englischen Landhaus
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