Orchideenhaus
nur kurz.« Elsie gähnte. »Entschuldige. Nach dem vielen Reden bin ich so müde, dass ich mich ausruhen muss.«
»Klar. Soll ich dir etwas zu trinken machen?«, fragte Julia, als Elsie vom Sofa aufstand und den Gaskamin ausschaltete.
»Ja, das wäre schön. Im Küchenschrank ist Kakao«, antwortete sie und machte sich auf den Weg zum Schlafzimmer.
»Ich bringe ihn dir«, sagte Julia und ging in die Küche. Wenig später trug sie die heiße Schokolade in Elsies Zimmer, wo diese mittlerweile unter einer rosafarbenen Satindecke lag.
Elsie bedankte sich, als Julia die Tasse mit dem Kakao auf das Nachtkästchen stellte. »Passiert nicht mehr oft, dass mir jemand was Heißes zu trinken ans Bett bringt.«
Julia beugte sich über Elsie und küsste sie auf die Stirn. »Gute Nacht, Oma, und danke, dass du mir die Geschichte erzählt hast.«
»Leider war das erst der Anfang. Aber wir können morgen weiterreden. Ich habe dir das Bett im Zimmer nebenan bezogen. Schlaf gut, Liebes, und träum was Schönes.«
Julia ging nach nebenan, wo sie sich auszog und unter das geblümte Oberbett schlüpfte. Sie ließ die Vorhänge offen, damit sie weiter zusehen konnte, wie der Schnee fiel, weil ihr das ein Gefühl der Stille und Ruhe vermittelte.
Für Xavier, aufgewachsen in Moskau, war der Schnee gewesen wie Regen in Norfolk: etwas Alltägliches, Ärgerliches. Er hatte sie einmal in diese Stadt mitgenommen … Julia zwang sich, an etwas anderes zu denken.
Julia wachte vom Duft in der Pfanne brutzelnden Specks auf. Sie nahm das Handy vom Nachtkästchen und warf einen Blick auf die Uhr. Fast zehn. Mit einem Seufzer sank sie in die Kissen zurück. Kaum zu glauben, dass sie so lange geschlafen hatte und nicht mitten in der Nacht aufgewacht war.
Da klopfte es an der Tür.
»Herein.«
Elsie streckte den Kopf herein. »Guten Morgen, Liebes. Englisches Frühstück für dich; ist in zehn Minuten fertig. Komm in die Küche, wenn du geduscht und angezogen bist.«
Julia machte sich fertig und ging in die Küche, um sich über das Frühstück herzumachen, das sie sich selbst nie zubereitet hätte. Bereits fünf Minuten später war der Teller leer, und Elsie gab eine zweite Portion Speck darauf. »Du liebst das große Frühstück, stimmt’s?« Sie lächelte.
»In Wharton Park habe ich es jedenfalls immer genossen. Das muss an der frischen Luft dort liegen«, pflichtete Julia ihr bei.
»Im Moment kannst du es vertragen.« Elsie deutete auf Julias dünne Arme.
»Wirklich, Oma, mir geht’s schon viel besser.« Julia sah an Elsie vorbei hinaus ins Freie und stellte fest, dass der Schnee zu schmelzen begann.
»Vielleicht sollte ich mich auf den Weg machen, solange die Straßen noch einigermaßen befahrbar sind«, meinte Julia.
»Ja.« Elsie spülte gerade das Geschirr.
»Bist du zu müde, um mir den Rest der Geschichte zu erzählen? «, fragte Julia.
Elsie dachte kurz nach. »Das Erzählen hat mich tatsächlich angestrengt. Könntest du ein andermal wiederkommen, um dir den Rest anzuhören?«
»Natürlich. Nur noch eine Frage, Oma: Was ist mit dem Baby passiert, das Olivia bekam, nachdem Harry in den Krieg gezogen war?«
Elsie hörte mit dem Spülen auf. »Die Arme hatte im fünften Monat eine Fehlgeburt, die ihr das Herz brach. Ich habe ihr die ganze Zeit gesagt, sie soll sich schonen. Adrienne – Lady Crawford – war völlig durch den Wind nach Harrys Abreise, und Olivia hat den größten Teil der Arbeit auf dem Anwesen erledigt. Natürlich gibt es Frauen, die sofort nach der Geburt Rüben ernten gehen, aber Olivia war trotz ihrer Stärke eben doch eine Dame. Das Kind hatte ihr alles bedeutet. Es war der Erbe für Wharton Park, den sie so dringend benötigten.«
»Als Harry aus dem Krieg zurückkehrte, war Olivia doch erst Mitte zwanzig und hätte ohne Weiteres noch einmal schwanger werden können, oder?«
Elsie wandte sich ihrer Enkelin zu und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Liebes, aber diese Fragen beantworte ich dir ein andermal.«
»Natürlich«, sagte Julia mit schlechtem Gewissen.
»Das Tagebuch würde ich gern behalten, wenn es dir nichts ausmacht. Ich habe es nie gelesen«, murmelte Elsie.
»Es gehört dir; du musst es behalten.«
»Das stimmt nicht ganz, Liebes …« Julia sah, dass Elsie sich
zusammenreißen musste. »Aber wie gesagt: Darüber sprechen wir bei deinem nächsten Besuch. Jetzt solltest du dich lieber auf den Weg machen. Ich hole dir deine Jacke.«
Von der Tür aus beobachtete Elsie,
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