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Orchideenhaus

Orchideenhaus

Titel: Orchideenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Riley
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legte seinen Kopf in ihren Schoß, wo er ihr seine Angst vor dem Fronteinsatz gestand.
    »Meinen Männern mache ich Mut, aber ich weiß, wie es im Krieg wirklich zugeht. Es ist nicht der Tod selbst, vor dem ich mich fürchte, sondern das Wissen, dass er jeden Augenblick da sein kann. Im besten Fall wird man in die Luft gejagt und merkt nichts davon. Im schlimmsten dauert es Tage, unter Schmerzen zu sterben. Egal wie, man verschwindet von der Erde und ist nur noch ein Name unter vielen auf einem Gedenkstein. Ich habe schreckliche Angst, Olivia. Und ich bin es müde, tapfer für alle anderen zu sein.«

    Als er endlich aufhörte zu weinen, schlug Olivia vor, in die Dünen zurückzuwandern und die Sachen zu verspeisen, die sie mitgebracht hatten. Harry öffnete die Flasche Wein aus Adriennes französischem Gut, die Mrs. Jenks eingepackt hatte, und reichte Olivia ein Glas.
    »Bitte trink nicht auf mein Wohl. Im Moment würde ich viel dafür geben, schlecht zu sehen, Plattfüße oder Asthma zu haben«, sagte er lächelnd. »Vielleicht bin ich feige.«
    »Nein, Harry, du sprichst nur aus, was jeder andere Mann in deiner Lage empfindet.«
    »Ich liebe dich, Olivia. Die Frage ist nur: Kannst du mir das glauben?«
    Olivia suchte in seinen Augen nach der Wahrheit. Sie war überrascht, sie darin zu entdecken.
    Schließlich antwortete sie: »Ja, Harry, das kann ich.«

24
    Southwold
     
    Ich blicke den Schneeflocken nach, die wie feiste Engel vom Himmel fallen. Sie aktivieren Elsies Bewegungsmelder, der die dicken weißen Flocken wie einen surrealen Hintergrund zu Elsies Geschichte erhellt.
    Obwohl diese Geschichte bis jetzt nicht allzu viel mit mir zu tun zu haben scheint und mir ihre Bedeutung noch nicht klar ist, tröstet sie mich. Zu hören, wie andere – unter ihnen meine Großmutter – mit der Furcht, geliebte Menschen zu verlieren, umgingen, und wie komplex ihr Dasein in Wharton Park sich gestaltete, zeigt mir, dass ich nicht die Einzige bin, die Leid ertragen musste.
    Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass ich keine Vorwarnung erhielt und mir kein Moment an einem windgepeitschten Strand vergönnt
war, in dem ich Fehler korrigieren und mich von ihnen hätte verabschieden können …
    Anders als die Frauen, die ihre Männer in den Krieg ziehen sahen, jedoch Trost aus der gemeinsamen Erfahrung mit ihren Leidensgenossinnen schöpften, habe ich das Gefühl, mich an niemanden wenden zu können.
    Ich fühle mich allein.
    Die Welt um mich herum dreht sich weiter, als wäre nichts geschehen. Zwei Leben, einfach ausgelöscht, ohne »Volkstrauertag« für sie. Nur eine Ehefrau und Mutter in einsamer Trauer.
    Und doch habe ich nicht das Elend des Krieges durchlebt, und meine Jungs mussten nicht die grässliche Angst vor dem Marsch in den Tod durchmachen wie Harry Crawford und Großvater Bill.
    Jemand hat mir einmal gesagt, der Tod sei genauso natürlich wie die Geburt, Teil des endlosen Kreislaufs menschlicher Freude und menschlichen Schmerzes. Er wird uns alle ereilen, und unsere Unfähigkeit, die eigene Sterblichkeit wie auch die der Menschen, die wir lieben, einfach so hinzunehmen, gehört zum menschlichen Dasein.
    Egal wie der Tod kommt: Die Hinterbliebenen können den Verlust nicht akzeptieren.
     
    Julia befreite sich aus ihren morbiden Gedanken. »Und was ist dann passiert, Oma?«
    »Olivia kehrte als anderer Mensch vom Strand in Holkham zurück; sie konnte wieder lachen … Es war, als wäre die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen«, erinnerte sich Elsie. »Man sah den beiden ihr Glück an. Wenn Harry zu Hause war, schlief er nicht mehr im Ankleidezimmer, und sie gingen Händchen haltend im Park spazieren. Sie waren wie jedes andere junge, verliebte Paar. Leider währte ihr Glück nicht lange, aber immerhin hatten sie ein paar gemeinsame
Wochen. Und als Harry mit Bill ins Ausland aufbrach, war Olivia schwanger.«
    Julia hob fragend eine Augenbraue. »Er war also nicht schwul?«
    Elsie schüttelte seufzend den Kopf. »Nein, dafür lege ich meine Hand ins Feuer, weil ich weiß, was später passierte. Für Olivia wäre das vielleicht sogar besser gewesen; dann hätte die tragische Geschichte schon damals ein Ende gefunden.«
    »Wie meinst du das, Oma? Ihnen war doch sicher ein Happy End vergönnt, oder?«
    »Ach, Julia. Wie du weißt, kriegt das nicht jeder. Auf mehr als ein paar Momente des Glücks, die wir genießen sollten, solange es möglich ist, können wir nicht hoffen. Olivia und Harry hatten sie, wenn auch

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