Orchideenhaus
aufs Meer und wünschte sich nur, dass der Tag so schnell wie möglich vorübergehen möge. Als sie sich Harry zuwandte, sah sie, dass er sie betrachtete.
»Hast du Lust auf einen Spaziergang durch die Brandung?«, fragte er.
»Wenn du möchtest.«
Sie standen auf und gingen zum Wasser.
»Olivia, danke, dass du dich so phantastisch um alles kümmerst. Ich weiß wirklich nicht, wie Mutter das allein hätte schaffen sollen. Sie ist gesundheitlich labil und gerät leicht aus der Fassung. Ich weiß, dass der größte Teil der Arbeit auf dir lastet.«
»Es macht mir Spaß, und es ist schön, etwas tun zu können. «
»Anscheinend bist du ein Naturtalent, und alle in Wharton Park lieben dich. Genau wie ich.«
»Ach, Harry. Du musst mir wirklich nichts mehr vorspielen. «
Sie gingen schweigend weiter. Kurz bevor sie das Wasser erreichten, blieb Harry stehen. »Olivia, ich habe mir viele Gedanken über unsere erste Begegnung und die Zeit danach gemacht. Bevor alles passiert ist. Ich habe dich immer für die klügste Frau gehalten, die ich kenne. Nicht albern, dumm und
eitel wie viele, die ich vor dir kannte, sondern intelligent und anständig. Und ich hatte damals den Eindruck, dass du mich auch magst.«
»Natürlich.«
»Weißt du noch, wie wir uns anfangs gegenseitig geneckt und miteinander gelacht haben?«
»Ja …«
»Vielleicht hätte ich dir da sofort sagen sollen, dass du das hübscheste Mädchen bist, das mir je über den Weg gelaufen ist.«
Olivia schüttelte frustriert den Kopf. »Harry, bitte hör auf damit! Meinst du, ich weiß nicht, was du vorhast? Aber es ist zu spät!«
»Liebes, so wie die Dinge im Moment stehen, ist es eher unwahrscheinlich, dass wir je wieder Gelegenheit haben werden, wie heute zusammen zu sein. Ich bitte dich, Olivia … Lass mich wenigstens erklären, was mit mir passiert ist. Können wir uns setzen?«
Als Olivia die Verzweiflung in seinem Blick sah, gab sie nach. »Na schön. Ich höre!«
Sie ließen sich in den Sand fallen. »Ich erzähle dir alles von Anfang an, ohne Hoffnung, dass das irgendeinen Unterschied macht. Aber ich finde, du hast das Recht, die Wahrheit zu erfahren. «
»Bitte, Harry, sprich einfach.«
»Gut. Glaube mir: Ich erwarte kein Mitleid von dir.« Harry sammelte seine Gedanken. »Ich habe dir neulich zu erklären versucht, dass Jungen in Internaten – dort kann es ganz schön grausam zugehen – manchmal aus Einsamkeit und Verzweiflung füreinander zu schwärmen beginnen.«
Olivia schwieg.
»Ich hatte schreckliches Heimweh nach meiner Mutter. Da
war ein anderer Junge in meinem Jahrgang, mit dem sich ein sehr enges Verhältnis entwickelte, mein einziges. Übrigens nicht auf körperlicher Ebene. Er mochte mich und schien sich etwas aus mir zu machen. Ich habe damals überlegt, ob ich in ihn verliebt bin, und mich den Rest meiner Teenagerzeit gefragt, ob ich, wie du es einmal so unverblümt ausgedrückt hast, homosexuell sein könnte.«
Er sah Olivia an, die den Blick senkte.
»Natürlich hat sich dieses Gefühl in Sandhurst noch verstärkt. Wie du weißt, bin ich nicht gerade der geborene Soldat, und allmählich begann ich zu glauben, dass mein geringer Kampfwille sowie meine Liebe zur Musik durch einen Mangel an Männlichkeit bedingt sind. Als ich dich kennenlernte, war ich verwirrt«, gestand Harry. »Bis dahin hatte ich kaum etwas mit Frauen zu tun gehabt, schon gar nicht auf körperlicher Ebene. Sie machten mir schreckliche Angst. Ich begriff nicht, was sie von mir erwarteten, und wusste nicht, wie ich ihre Wünsche befriedigen sollte. Dann« – Harry seufzte – »ist mir bei Penelopes Ball Archie über den Weg gelaufen. Er schien mir in so vieler Hinsicht ähnlich zu sein; seine Sensibilität, seine Liebe zur Kunst … Und natürlich spürte ich gleich, dass er homosexuell ist. Ich bin ein paarmal zu ihm nach London gefahren …«
»Wusste ich doch, dass ich dich einmal in London gesehen habe«, fiel Olivia ihm ins Wort. »Es war ziemlich spät am Abend, im Ritz.«
»Ja. Archie hatte mich einigen seiner Freunde vorgestellt, weil er davon ausging, dass ich einer der ihren sei. Er hat sich jedenfalls große Mühe gegeben, mich davon zu überzeugen. Während seines Besuchs in Wharton Park hat er versucht, mich von der Hochzeit abzuhalten, und gesagt, sie sei ein schrecklicher Irrtum. In meiner Verwirrung wusste ich nicht,
was ich denken sollte. Archie hat mir Horrorgeschichten darüber erzählt, dass ich in der Hochzeitsnacht meine
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