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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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wolkenschwerer, ereignisloser Tag. Die Ältesten von Israel sitzen um Jassems Feuer, wo ein mürrischer Fahd Unmengen Reis für die Menge kocht. Hin und wieder erhebt sich ein Streit, der von anderen Gruppen an anderen rauchenden Feuern aufgegriffen wird, oder es wird eindrucksvoll mit Geld geklimpert.
    Vierzehnter Tag . Nachts goss es in Strömen, so dass wir noch einen weiteren Tag warten müssen, denn Kamele sind im Schlamm so hilflos wie Giraffen auf Schlittschuhen. Fünf von vierzehn Tagen verloren. Verdammte Warterei. Ich habe keine Lust mehr, in dieser tristen Gegend festzusitzen, wo die Schafe wie langweilige Maden weiden und die Zelte der Delaim wie tote Käfer am Horizont liegen. Wurde heute nach dem Haferflocken-mit-Kondensmilch-Mittagessen von meinem kleinen Osmanenfreund aufgesucht und dem kleinen schielenden Burschen, dem Anführer der Leute von Ibn Kubain, und einem großen Trupp unserer gestrigen Feinde. Der kleine Scheich zeigte mir voller Stolz sein deutsches Scherenfernrohr. Einige seiner Männer hatten Ferngläser. Alle unterhielten sich prächtig, als der dicke Scheich und Jassem er-Rawwaf hereinkamen und alle davonjagten. Die Karawane missbilligt offenbar meinen Umgang mit unseren Feinden. Das ist der Nachteil, ein Hakim zu sein und in einem karminroten Zelt zu sitzen. Was immer man tut, bekommt eine politische Bedeutung. Nawwaf erschien später noch einmal, guckte sehr gekränkt und machte unfreundliche Bemerkungen über die Fede’an. Um ihn aufzuheitern, ließ ich uns von Jassems Jungen Kaffee bringen, und dann gingen wir hinauf zu dem Steinhügel, von wo er nach Westen auf den markierten Trampelpfad zeigte. Fünf Tage in dieser Richtung nach El Gharra, wo seine Herden seien. Wenn ich bei ihm bliebe, würde er ein Schaf für mich schlachten. Viele Tage solle ich bei ihm bleiben, viele, viele Tage, für immer. Und in dem kräftigen Wind, der dort oben unablässig heulte und in den Steinhaufen fuhr, dachte ich für einen Moment, ja, das ist es. Fortan in einem schwarzen Filzzelt wohnen, ungesäuertes Fladenbrot und Schafsbutter essen, immer den Wind in den Nasenlöchern haben, im Winter nach Süden ziehen, im Sommer nach Norden, zu den Weideplätzen der Kamele und Schafe. Eine schrillstimmige Beduinin zur Frau nehmen, durch eine Gewehrkugel während eines Überfalls sterben und unter einem Steinhaufen neben dem erloschenen Feuer und den runden Dunghaufen des letzten Lagers begraben werden. Wird die Welt irgendetwas bereithalten, was dafür entschädigt, dieses Leben nicht gelebt zu haben?
    Ich kehrte hungrig zu meinem Zelt zurück und bat Fahd, mir die letzte Dose koschere Würstchen zuzubereiten. Der Wind bläst das Zelt auf wie einen Luftballon.
    Fünfzehnter Tag . Die Sterne knisterten vor Kälte, als ich Stunden vor Tagesanbruch aus meinem Kokon kroch. Alles war abgebaut, das Lager ein einziges Durcheinander von Treibern und Kamelen, deren Hälse am Boden gehalten wurden, während die Männer ihnen die Lasten aufluden. Die Kamele sträubten sich, stöhnten und knurrten, die Kameltreiber fluchten und traten. Jassem, die Ruhe in Person, beugte sich über das letzte bisschen Feuer und wärmte sich die Hände. Er lachte still in sich hinein, als ich mich neben ihn setzte. Er gab mir einen letzten Schluck Kaffee in einer seiner winzigen Tassen und verstaute dann drei Kannen und die Tassen sowie Mörser und Stößel in seinen roten Satteltaschen. Malek wurde von Fahd herbeigebracht, kniete nieder und stand so ruckartig auf, dass sich mein Kopf fast im Orion verhedderte. Langsam setzte sich die Karawane in Bewegung, immer in Richtung Großer Bär. Wunderbarer Ritt durch die Morgendämmerung, über grasschimmerndes Hochland bis zur großen Schlucht des Sheib Hauran, vorbei an roten Sandsteinfelsen. Malek sprang wie eine Bergziege von Fels zu Fels, hinunter zum Wasserlauf, wo sich von letzter Woche noch ein paar braune Tümpel gehalten hatten. Dort wurden die Kamele rasch getränkt, und gleich ging es weiter, den steilen Hang an der Nordseite hinauf. Ich ritt neben dem alten Hadschi mit dem Regenschirm, der mit den Augen rollte und jedes Mal, wenn sein Kamel einen Satz machte, laut aufstöhnend «Hamdulillah» rief. Und nachdem wir das letzte Stück der Schlucht hinaufgeklettert waren, ging es los, unter Funkelschauern über das weiteste und flachste Stück Wüste, durch das wir bislang gekommen sind. Elf Stunden in höchstem Tempo geritten und im Dunkeln das Lager aufgeschlagen, bärenhungrig und
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