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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition)
Autoren: John Dos Passos
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wurde. Und wieder war der Regenschirm beschädigt.
    Meine Schuhe sind hinüber, und ich habe Frostbeulen.
    Neunundzwanzigster Tag . Sitzen wieder fest. Fünfzehn Kamele humpeln nach den Anstrengungen der letzten Tage. Den ganzen Tag in nassen Zelten gefroren. Den ganzen Nachmittag im Zelt des Sajjid gesessen, während sein Koch Hadschi Mohammed Geschichten erzählte. Ich habe nicht alles mitbekommen, aber jede begann mit der geschmeidigen Verbindlichkeit des Es war einmal ... und entwickelte dann eine solche Spannung, dass alle Eywallah und Allah riefen und dreckig gackerten und unruhig hin und her rutschten und sich dermaßen amüsierten, dass mir fast war, als hätte ich die Worte verstanden. Dann sang der kleine Sohn des Damaszener Kaufmanns, und alle aßen Datteln und tranken Tee. Zwischen den Strophen romantischer Lieder ruft jeder Allah und seufzt überaus melancholisch.
    Dreißigster Tag . Begann dunstverhangen und deprimierend. Dann Phantomberge im Westen, die Syrien und seine Fleischtöpfe zu versprechen schienen, die Sonne kam heraus, und die unendliche purpurrote Flintsteinebene leuchtete wie ein zersprungener Spiegel.
    Einunddreißigster Tag . Herrlicher eiskalter Morgen. Immer weiter westwärts durch dieses Flintsteinmeer. Unentwegt hungrig. Stunden vor Mittag denke ich an den Geschmack von Kastowi, eine köstliche melassebraune Pampe aus Schafsbutter und gebratenen Datteln, und abends falle ich über Reis und Brot her, ohne viel zu schmecken. Letzte Nacht habe ich von einem Dinner im Bristol in Marseille geträumt, von dem Geschmack einer knusprig gebratenen Gans. Ich komme mir dann furchtbar verweichlicht vor. Entbehrungen scheinen den anderen nichts auszumachen. Die Araber sind die genügsamsten Leute, denen ich je begegnet bin.
    Zweiunddreißigster Tag . Einen halben Tag weiter. Kamele schlecht gelaunt, da sie seit Tagen nichts zu fressen haben. Und wenn sie tausend Jahre bis Damaskus brauchen. Mir ist es egal. Nie wieder werde ich an so aromatischen Lagerfeuern sitzen, mit so feinen Leuten zusammen sein. Mein Gott, ich fühle mich gut, bärtig, vollblütig, die Wüste, dieses kalte purpurrote feuersteinerne Plätteisen, hat alles Gallige aus meinem Bauch, alles Runzelige aus meinen Gedanken weggebügelt.
    Der Sajjid und Damaskus-Saleh hatten einen Streit, ich weiß nicht, worüber.
    Dreiunddreißigster Tag . Ein neuer Wind ist aufgekommen, hawa esch-Scham, so heißt er, der Wind von Damaskus. Alles ist rosa und von warmer Farbe wie die Ohren eines Eselhasen, die man für einen kurzen Moment gegen die Sonne sieht. Wir haben auf einem schihbedeckten Hang unser Lager errichtet. Am Ende einer nach Nordwesten verlaufenden Rinne ragt ein Gebirgszug in die Wüste hinein, die Berge von Syrien. Dahinter liegt Palmyra, dessen Anblick mir nicht vergönnt sein wird – ach, Zenobia. Schuhe zerrissen, die Füße voller Frostbeulen, die Hände steif vor Kälte, aber ich bin munter wie eine Lerche. Hätte jetzt gern ein heißes Glas Punsch mit einer Zitronenscheibe und zwei Nelken.
    Vierunddreißigster Tag . Durch steinige Schluchten und über Sandwüste, und im Westen die syrischen Berge, zusammengedrängt wie eine Viehherde. Heute Nachmittag wären wir fast wieder überfallen worden. Zwei Agail bemerkten Gewehre und Kopftücher am Eingang einer tiefen Schlucht, durch die die Piste führt, woraufhin die Karawane sofort umdrehte und nach Süden verschwand, während die Granden auf ihren Dromedaren mit schussbereitem Gewehr auf die Schlucht zuritten. Die Männer trugen verschiedenfarbige Kopftücher und waren vom Dschebel Druse. Ich glaube nicht, dass es Drusen waren, sondern Leute aus der Umgebung, halb Bedawi, halb Drusen. Sie sagten, sie wollten den verrückten Farangi sehen, der sich in der Wüste herumtreibt, und nachdem ich herbeigerufen worden war, musterten sie mich kritisch, aber freundlich. Anschließend wurden große Reden geschwungen. Und mit fünfzehn türkischen Pfund und einem Sack Datteln gaben sie sich schließlich zufrieden. Ohnehin hätten sie uns keine nennenswerten Schwierigkeiten machen können, da nur einige von ihnen beritten waren.
    Fünfunddreißigster Tag . Wir reiten zwischen zwei kahlen Gebirgszügen, rosa und ocker und purpurrot, im Schatten indigofarben, die sich in stehenden Wasserlachen spiegeln. Dort, wo das Wasser ausgetrocknet ist, ist der Boden rissig und fleckig wie eine Alligatorhaut. Nachdem uns von den Bedawi keine Gefahr mehr droht, denken alle voller Sorge an das
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