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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße! Danach fühlt er sich besser.

    Er steht auf und reckt die Arme, um sich zu dehnen, und das Laken fällt von ihm ab. Abgestoßen blickt er an sich hinunter: die schmutzige, grindige Haut, die grau melierten Haarbüschel, die verhornten, gelben Zehennägel. Nackt wie am Tag seiner Geburt. Obwohl er davon nicht mehr das Geringste weiß. So viele einschneidende Ereignisse finden hinter dem Rücken der Leute statt, wenn es ihnen unmöglich ist, zuzusehen: Geburt und Tod zum Beispiel. Und das zeitweilige Vergessen beim Sex.
    Denk gar nicht erst dran, schärft er sich ein. Sex ist wie Alkohol, es ist schlecht, schon so früh am Tag darüber zu brüten.
    Früher hat er auf sich geachtet; ist regelmäßig gelaufen, hat im Fitnessraum trainiert. Jetzt kann er seine Rippen zählen; er verfällt zusehends. Nicht genug tierisches Eiweiß. Eine Frauenstimme flüstert ihm zärtlich ins Ohr: Netter Hintern! Es ist nicht Oryx, sondern irgendeine andere Frau. Oryx ist nicht mehr sehr gesprächig.
    »Sag irgendwas«, fleht er sie an. Sie kann ihn hören, das muss er glauben, aber sie straft ihn mit Schweigen. »Was kann ich tun?«, fragt er. »Du weißt, dass ich…«
    Oh, ein richtiger Waschbrettbauch!, kehrt das Flüstern zurück und fällt ihm ins Wort. Leg dich einfach zurück, Schatz. Wer ist das?
    Irgendein Flittchen, das er einmal gekauft hat; Korrektur: eine professionelle Sexarbeiterin. Eine Trapezkünstlerin mit Gummirückgrat, Flitter auf der Haut wie Fischschuppen. Er hasst diese Echos.
    Heilige haben sie gehört, wahnsinnige, verlauste Einsiedler in ihren Höhlen und Wüsten. Bald wird er betörende Dämonen erblicken, die ihn herbeiwinken und sich die Lippen lecken, Gestalten mit rot glühenden Brustwarzen und zuckenden rosigen Zungen. Seejungfrauen werden sich aus den Wellen erheben, dort draußen, jenseits der halb zerfallenen Türme, und er wird ihren Sirenengesang hören und hinausschwimmen und von Haien gefressen werden. Kreaturen mit weiblichen Köpfen und Brüsten und Adlerklauen werden sich auf ihn stürzen, er wird sie mit offenen Armen empfangen, und das ist sein Ende. Hirngeröstet.
    Oder schlimmer: Irgendein Mädchen, das er kennt oder gekannt hat, wird durch die Bäume auf ihn zukommen, sie wird sich freuen, ihn zu sehen, aber aus Luft bestehen. Sogar das wäre ihm recht, der Gesellschaft wegen.
    Mit seinem einen sonnenbebrillten Auge sucht er den Horizont ab: nichts. Das Meer ist aus flüssigem Metall, der Himmel ein ausgebleichtes Blau bis auf das Loch, das die Sonne hineinbrennt. Alles ist so leer. Wasser, Sand, Himmel, Bäume, Fragmente der Vergangenheit. Niemand kann ihn hören.
    »Crake!«, brüllt er. »Arschloch! Nur Scheiße im Hirn!«
    Er lauscht. Das salzige Wasser rinnt ihm wieder über das Gesicht. Er weiß nie im Voraus, wann das passiert, und nie kann er es beenden. Sein Atem ist ein Keuchen, als umklammerte eine Riesenhand seine Brust –
    Klammern, Lockern, Klammern. Sinnlose Panik.
    »Das hast du angerichtet!«, schreit er den Ozean an.
    Keine Antwort, natürlich nicht. Nur die Wellen, hin – her, hin – her.
    Er wischt sich mit der Faust über das Gesicht, über Schmutz und Tränen und Rotz und den kläglichen Schnurrbart und den klebrigen Mangosaft.
    »Schneemensch, Schneemensch«, sagt er. »Fang endlich zu leben an.«

Scheiterhaufen
    Vor langer Zeit war Schneemensch noch nicht Schneemensch. Sondern Jimmy. Damals war er ein netter Junge.

    Jimmys früheste vollständige Erinnerung war ein riesiges Feuer im Freien. Er muss fünf, vielleicht sechs Jahre alt gewesen sein. Er trug rote Gummistiefel mit einem lächelnden Entengesicht auf jeder Zehe; daran erinnert er sich, denn nachdem er das Feuer gesehen hatte, musste er mit diesen Stiefeln durch eine Wanne mit Desinfektionsmittel laufen.
    Sie sagten, das Desinfektionsmittel sei giftig und er solle nicht spritzen, woraufhin er fürchtete, das Gift könnte den Enten in die Augen geraten und ihnen wehtun. Man hatte ihm gesagt, die Enten seien nur Bilder, sie seien nicht echt und hätten keine Gefühle, aber ganz überzeugt war er nicht. Sagen wir fünfeinhalb, denkt Schneemensch. Das dürfte hinkommen.

    Es könnte Oktober gewesen sein oder November; die Blätter hingen noch an den Bäumen und waren orange und rot gefärbt. Der Boden war schlammig – anscheinend standen sie auf einer Wiese –, und es nieselte.
    Das Feuer war ein riesiger brennender Scheiterhaufen aus Kühen und Schafen

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