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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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hielt nur einen Moment, dann verwarf er den Gedanken; Mr. Kop hatte für ihn angehalten, und er nannte ihm den Flughafen als Ziel. Mr. Kop fuhr so schnell, wie sein uraltes Gefährt es ihm erlaubte, nahm genüsslich jede Unebenheit im Straßenbelag, sang beim Fahren vor sich hin und grinste und zuckte leicht. Bald waren sie auf der ebenen breiten Straße zum Flughafen, wo das Flussbett des Mekong zu sehen war, immer noch trocken, da die Regenzeit es noch nicht gefüllt hatte. Die entfernten Sandbänke hatten die Farbe von Mr. Kops Zähnen. Joe lehnte sich zurück und streckte die Beine aus. Flüchtig dachte er an die junge Frau.
    Vor der Abfertigungshalle bezahlte er Mr. Kop und ging hinein. Schwarze Autos hatte er unterwegs keine gesehen. Er kam zum Schalter der Trans-Continental Airways, wo eine junge Frau mit einem sympathischen Lächeln zu ihm aufblickte. Sein Ticket lag abholbereit da, und die Frau sagte, er solle zu Gate drei gehen. Es war ein kleines, altes, aber sauberes Terminal mit einem glatt getretenen Betonboden. Durch hohe Fenster strömte Sonnenlicht herein. Am Kiosk neben dem Eingang kaufte er sich einen Espresso, den er draußen im Stehen schlürfte. Er zündete sich eine Zigarette an und beobachtete die vorbeigehenden Menschen.
    Dass er zum Flughafen fuhr, konnten sie nicht wissen, denn er hatte erst morgens gebucht, und so war er einigermaßen ruhig. Außerdem hatte er unterwegs keinen Verfolger entdeckt, was auch gut war. Natürlich bestand noch die andere Möglichkeit – dass ihnen klar war, dass er nach Paris fliegen würde, weil die Spur zu Mike Longshott in diese Richtung führte, und dass sie Bescheid wussten, über Longshott und Osama, aber das war eine Option, die ihn in dem Moment nicht beschäftigte. Er trank den Espresso aus, bestellte sich noch einen und hielt nach schwarzen Schuhen Ausschau. Ein älterer Inder im Anzug mit einer teuer aussehenden Uhr am Arm ging vorbei. Dann eine chinesische Familie, der Vater steif, als hätte er einen Stock verschluckt, die Mutter mollig, in einem weiten Kleid und mit besorgter Miene, hinter ihnen zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, der Junge mit einer Soldatenpuppe, das Mädchen mit einem broschierten Buch in der Hand, und als Nachhut ein laotisches Kindermädchen, auf dem Arm das jüngste Mitglied des Regiments, ob Junge oder Mädchen, war nicht zu erkennen. Drei weiße Männer in lässiger Kleidung – die Art von Lässigkeit, die zu erlangen Geld kostete –, zwei Mitte zwanzig, einer mit silbernem Haar und schwarzer Sonnenbrille, die Französisch miteinander sprachen. Während des Krieges war der Flughafen als Stützpunkt für einen losen Verband französischer Piloten benutzt worden, die unter dem Deckmantel einer zivilen Luftfahrtgesellschaft agierten. Raben genannt, flogen sie Missionen über die Grenze nach Vietnam hinein. Den heimlichen Krieg, so nannten sie das. Einige der Veteranen waren dageblieben, aber das Einzige, was heute noch an Französisch-Indochina erinnerte, waren die Münzen, die im Talat-Sao-Markt an Touristen verkauft wurden. Eine Frau trug einen Bambuskorb mit zwei Hühnern darin. Fünf Afrikaner in wallenden Gewändern, von laotischen Funktionären eskortiert – vielleicht eine diplomatische Delegation aus der Elfenbeinküste oder dem Senegal. Zwei junge europäische Rucksacktouristinnen, von denen eine Joe im Vorbeigehen anlächelte. Ein bärtiger muslimischer Geistlicher mit einem Rollkoffer. Zwei Japaner, ein Mann und eine Frau, die sich, ohne zu sprechen, synchron in einer Art Powerwalking bewegten. Eine Gruppe von Hmong-Dorfbewohnern mit Körben, von denen einer den Gesang lebender Frösche gefangen hielt. Dunkle Schemen starrten Joe durch die geflochtenen Gitter ihres Gefängnisses an. Joe zerdrückte die Zigarette in seinem Espressobecher, warf beides in den Mülleimer und ging, um sein Flugzeug noch zu erwischen.

IM ÜBERGANG
    Ein kaltes, wasserloses Meer
    Am einsamsten fühlte er sich immer beim Fliegen. In einem Flugzeug kam er sich vor, als gäbe es ihn nicht. Da waren die Deckenleuchten, die unhandlichen Ohrhörer und die Konservenmusik, tote Töne und tote Stimmen, die kratzend aus einer winzigen Buchse in der Armlehne kamen. Draußen war die Welt verschwunden; befand er sich erst einmal über den Wolken, konnte er nur noch eine weiße Landschaft sehen, jäh aufragende Berge, tiefe Schluchten, bodenlose Abgründe dort, wo die Wolken sich vorübergehend öffneten, und überhaupt nichts darunter. Die

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