Osama (German Edition)
Wolkenlandschaft war nicht real. Sie war unwirklich, ohne konkrete Existenz. Der blaue Himmel ein kaltes, wasserloses Meer.
Der Flug nach Bangkok dauerte eine Stunde. Nach der Landung auf dem modernen Flughafen aus Chrom und Glas, wo an jeder Ecke das Bild des Königs hing, wartete er. Flughäfen waren zum Warten da, manchmal für immer. Joe saß auf einer Bank und beobachtete, ohne dass sie es merkten, die Leute, die an ihm vorbeiliefen. Als er die Toilette aufsuchte, roch sein Urin nach Kaffee. Er wusch sich die Hände und trocknete sie an einem Handtuch ab. In der Abfertigungshalle gab es weder Tag noch Nacht. Es war ein Ort, an dem die Zeit stillstand, eine Pause, ein Ort, wo es nur ein Vorher oder Nachher, aber kein Jetzt gab.
Aus irgendeinem Grund dachte er an die Katze. Ein paar Monate zuvor hatte er versucht, sich eine zuzulegen. Es war ein herrenloses Kätzchen gewesen, schmutzig schwarz, mit großen runden Augen, einem dünnen Hals und einem dicken, durch Würmer aufgeblähten Bauch. Draußen vor dem Morgenmarkt war es zu ihm hergekommen, einfach so, hatte eine Pfote auf seinen Fuß gelegt und zu ihm aufgeschaut.
In einer blauen Plastiktüte nahm er es mit nach Hause, fütterte es mit Thunfisch und hielt es auf dem Schoß. Es war ein Katzenjunges, zwei Monate alt und drollig mit seinem staksigen, ungraziösen Gang. Joe nannte es Kleiner, denn es war klein und ein Kater. In der Don Palang Road befand sich eine Tierklinik, und die Tierarzthelferin kam zu ihm nach Hause und sagte, Kleiner brauche eine Spritze gegen Würmer und eine gegen eine Ohrinfektion, worauf sie ihm zwei Spritzen gab. Nachdem Joe sie bezahlt hatte, ging sie, und zwanzig Minuten später war Kleiner tot.
Kleiners Körper verkraftete die Spritzen nicht. Der Kater rannte schneller durch den Raum, als Joe ihn zuvor hatte rennen sehen, blieb dann ebenso abrupt stehen und kroch, die Beine gespreizt, den Körper von Krämpfen geschüttelt, unter den Stuhl. Den Blick auf Joe gerichtet, bepinkelte er sich und blieb bewegungsunfähig in seinem eigenen Urin liegen. Joe hatte ihn in seine Kiste gelegt und ohne nachzudenken aufgewischt, und dann hatte er Kleiner an sich gedrückt und gefühlt, wie er ging, als der Körper in seinen Armen erschlaffte, die Augen offen blieben, Joe jedoch nicht mehr sahen, und das Herz aufhörte zu schlagen.
Er hasste die Tierarzthelferin für das, was sie getan hatte, aber noch mehr hasste er sich selbst dafür, dass er sie nicht aufgehalten, ihr nicht gesagt hatte, Kleiner sei zu klein, zu zerbrechlich für die Spritzen. Er hatte sie gewähren lassen, weil er es für das Richtige hielt, und auch sie hatte getan, was ihr richtig erschien.
Beerdigt hatte er Kleiner im Dunkeln, eine Nacht vor Vollmond. Joe hob ein Loch aus, stellte Kleiner in seiner Kiste hinein und bedeckte sie mit Erde.
»Der TransContinental-Airways-Flug nach Paris steht an Gate fündunddreißig zum Einsteigen bereit«, sagte eine Frauenstimme über Lautsprecher. Joe stand auf; er hatte mit offenen Augen geträumt. Anders träumte er gar nicht mehr. Er nahm seine Tasche und hob gerade den Blick zu der großen Abflugtafel, wo Flugziele und -nummern auf beweglichen Plättchen unaufhörlich klappernd umschlugen, als er eine Hand auf dem Arm spürte und eine Stimme ganz in der Nähe sagte: »Bitte, gehen Sie nicht.«
Erschrocken drehte er sich um. Eine kleine rundliche Asiatin stand neben ihm. Er hatte sie nicht kommen hören. Sie trug ein sackartiges Kleid und weich besohlte Schuhe und blickte aus kurzsichtigen Augen flehend zu ihm auf. »Tut mir leid …«, sagte Joe, und die Frau erwiderte mit einem Seufzen: »Mir auch. Sie haben Glück. Sie finden Ihren Wegweiser. Ich suche meinen noch.« Und ihr Blick wanderte von ihm fort zu der Abflugtafel, und sie seufzte und sagte: »Er sollte still sein und vor lichtvollen Worten leuchten. Nicht wie das hier. Er sollte … er sollte sein wie das Schild zum Paradies, denke ich manchmal. Aber ich weiß nicht, wo mein Flug ist. Ich weiß nicht, zu welchem Gate ich gehen muss. Ich habe sie alle probiert.«
Joe legte der Frau die Hand auf die Schulter, ohne so recht zu wissen, warum er das tat. Er fühlte, dass irgendetwas in ihm auf sie reagierte, ihren Schmerz spürte, nicht ein Wissen, sondern ein Gefühl, und es war ihm fremd. »Setzen Sie sich hin«, sagte er. »Ich hole Ihnen etwas zu essen. Wenn Sie erst einmal gegessen haben, sieht alles schon besser aus.«
»Flugzeugessen«, sagte die Frau. »Das ist
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