Osama (German Edition)
alles, was ich jetzt schmecken kann. Und Apfelsaft. Im Flugzeug trinke ich nie Alkohol. Nur Apfelsaft. In diesen durchsichtigen Plastikbechern mit den Runzeln. Jetzt hasse ich den Geschmack, aber er will nicht vergehen.«
»Tut mir leid«, sagte Joe wieder. Er wusste nicht, was er sagen sollte, fühlte sich ihr gegenüber hilflos. Die Frau starrte immer noch die Abflugtafel an. Nach einer Weile zog Joe sanft die Hand weg. Er glaubte schon, sie hätte vergessen, dass er da war, doch dann hörte er sie sprechen. »Gehen Sie«, sagte sie. Sie sprach sehr leise. »Ich hätte nicht zu Ihnen kommen dürfen. Aber manchmal werde ich so einsam – wo sind wir?«
»Bangkok«, sagte Joe.
»Bangkok? Ich war noch nie in Bangkok.«
Er ließ sie dort zurück. Nicht ein einziges Mal löste sie den Blick von der Abflugtafel.
Schwarze Wanderschuhe
Der Mann war halb Jamaikaner, halb Engländer und annähernd zwei Meter groß. Er sprach mit einem Südlondoner Akzent, denn er war in Bromley geboren und in die Thomas Tallis School in Kidbrooke gegangen. Er hatte tief liegende Augen und dichtes schwarzes Haar, und in den ausgehöhlten Sohlen seiner schwarzen Wanderschuhe waren über hundert Gramm hochexplosiven Plastiksprengstoffs aus Pentaerythrittetranitrat und Acetonperoxid versteckt. Er hieß Richard Reid.
Bei Richards Geburt saß sein Vater im Gefängnis. Als er mit sechzehn von der Schule abging, klaute er bereits Autos wie sein alter Herr. Wegen eines Raubüberfalls saß er eine Haftstrafe ab. »Ich war nicht da, um ihm die Liebe und Zuneigung zu geben, die er hätte kriegen müssen«, sollte sein Vater später sagen. Als Richard ein paar Jahre nach seiner ersten Inhaftierung dem alten Mann zufällig in einem Einkaufszentrum begegnete, hatte Robin Reid einen Tipp für seinen Sohn. Muslime behandeln dich wie einen Menschen, sagte er. Und im Gefängnis kriegen sie besseres Essen.
Nach seiner Konvertierung im Jugendgefängnis in Feltham nahm er den Namen Abdul Raheem an. Ein paar Jahre danach verschwand er. Seine Mutter dachte, er sei in Pakistan. Späteren Berichten zufolge wurde er in Afghanistan ausgebildet. Er tauchte in Amsterdam wieder auf, wo er in einem Restaurant arbeitete. Von Amsterdam ging er nach Brüssel und von Brüssel nach Paris.
Der Dezember war kalt und dunkel, und die Tage waren kurz. Am Siebzehnten buchte Richard bei der American Airlines einen Hin- und Rückflug nach Miami. In Paris hielt er sich die ganze Zeit in der Nähe des Gare du Nord auf, ohne sich jedoch ein Hotelzimmer zu nehmen; als er am einundzwanzigsten Dezember am Flughafen ankam, sah er verwahrlost aus.
Er hatte kein Gepäck. Französische Sicherheitsbeamte verhörten Reid, fanden jedoch keinen Grund, ihn festzuhalten. Da er seinen Flug verpasst hatte, kam er am nächsten Tag wieder und bestieg diesmal erfolgreich die Boeing 767.
Es war ein Samstagmorgen. An Bord befanden sich hundertfünfundachtzig Passagiere. Wie erwähnt, waren in den Sohlen von Richard Reids Schuhen Sprengstoff und Zünder verborgen. Als die Maschine in der Luft und die Bordmahlzeit (die Reid nicht einnahm) serviert war, begann der Geruch von Rauch durch die Kabine zu ziehen. Eine Stewardess, Hermis Moutardier, erwischte den jungen Mann bei dem Versuch, ein Streichholz anzuzünden, und mahnte ihn, das Rauchen sei an Bord nicht erlaubt. Reid versprach aufzuhören. Stattdessen stocherte er sich mit dem geschwärzten Streichholz zwischen den Zähnen herum. Er hatte einen Fensterplatz und niemanden neben sich. Als Moutardier kurz darauf wiederkam, fand sie Reid in seinem Sitz vornübergebeugt. Sie dachte, er rauche. »Entschuldigen Sie«, sagte sie, »was machen Sie da?« Er schwieg. Als sie eine Antwort verlangte, drehte Reid sich in seinem Sitz um, was den Blick auf den Schuh, der jetzt zwischen seinen Beinen lag, eine Zündschnur und ein brennendes Streichholz freigab. Moutardier packte ihn. Er schubste sie weg. Sie versuchte, ihn erneut zu fassen zu kriegen, und er stieß sie so heftig zurück, dass sie über eine Armlehne in der nächsten Sitzreihe fiel. Moutardier rannte durch den Gang nach hinten und rief: »Schnappt ihn! Los!«
Als Cristina Jones Moutardier hörte, lief sie auf den Tumult zu. Reid kehrte ihr den Rücken zu. Jones rief: »Hören Sie auf!« und versuchte, ihn zu packen. Da drehte Reid sich um und biss ihr in die linke Hand, wobei er seine Zähne unterhalb des Daumens in ihr Fleisch grub. Jones schrie.
Als er losließ, klappte Jones das Tablett
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