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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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er, dass er immer noch das zerknüllte Papier umklammerte. Er glättete es wieder und sah es sich an. Ein schmutziger Fetzen altes Zeitungspapier, kaum lesbar, bis aufs Datum: elfter September zweitausendeins. Er zuckte die Schultern, zerknüllte es erneut und ließ es in den Mülleimer fallen. Danach packte er ein paar Kleider zusammen, warf die drei Bücher dazu und verließ die Wohnung.

Caravana de la Muerte
    Am elften September neunzehnhundertdreiundsiebzig um sieben Uhr hatte die chilenische Flotte Valparaíso eingenommen. Um acht Uhr besetzte die Armee Santiago. Um neun Uhr hatte die Armee fast das ganze südamerikanische Land unter Kontrolle. In seiner letzten Rede sagte Präsident Salvador Allende: »Sie haben Macht und können uns beherrschen, gesellschaftliche Prozesse lassen sich aber weder durch Verbrechen noch durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte gehört uns, und Völker schreiben Geschichte … Das sind meine letzten Worte, und ich bin sicher, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird, ich bin sicher, dass es zumindest eine moralische Lektion im Kampf gegen Betrug, Feigheit und Verrat sein wird.« Um zwölf Uhr trafen schließlich Kampfjets vom Typ Hawker Hunter über dem Präsidentenpalast mitten in Santiago ein. Sie ließen ihre Bombenladung über dem Palast fallen. Kurz darauf starb Allende. Eine Version besagt, dass er sich das Leben nahm, mit einem Sturmgewehr vom Typ AK-47, einem Geschenk Fidel Castros, das auf einer goldenen Plakette die Gravur trug: »Meinem guten Freund Salvador von Fidel, der mit anderen Mitteln dieselben Ziele zu erreichen sucht.«
    Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Augusto Pinochet, wurde chilenischer Staatspräsident.
    Außerhalb von Chile wurde dieses Ereignis kaum wahrgenommen oder beachtet. Im Laufe der folgenden Jahre starben oder verschwanden Tausende von Menschen. Das Nationalstadion von Chile wurde als Internierungslager für über vierzigtausend Menschen benutzt. Ein Erschießungskommando der Armee, die sogenannte Todeskarawane oder Caravana de la Muerte, überflog in Helikoptern das Land und führte Exekutionen durch. Insgesamt starben mindestens dreitausend Menschen.
    Steckten die Vereinigten Saaten hinter dem Putsch? »Wir haben es nicht getan. Geholfen haben wir ihnen«, sagte Sicherheitsberater Henry Kissinger fünf Tage später in einem Telefonat zu Präsident Nixon. Es war 11.50 Uhr. Begonnen hatte das Gespräch mit Football.
    »Nichts Neues von irgendwelcher Bedeutung, oder?«, hatte der Präsident gefragt.
    »Nichts von besonderem Belang«, hatte Kissinger geantwortet.
    Als er von Allendes Wahl zum Präsidenten hörte, sagte der US-Botschafter in Chile, Edward M. Korry: »Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Chile und alle Chilenen zu größter Entbehrung und Armut zu verdammen.«
    In einem Kommuniqué an den CIA-Stützpunkt in Chile am sechzehnten August, weniger als einen Monat vor dem Putsch, hieß es: »Die unerschütterliche und fortwährende Strategie sieht vor, dass Allende durch einen Staatsstreich gestürzt wird … Wir müssen, unter Ausnutzung sämtlicher geeigneten Mittel, weiterhin größtmöglichen Druck in diese Richtung ausüben. Dabei ist zwingend erforderlich, dass diese Maßnahmen heimlich und sicher getroffen werden, damit die Beteiligung Amerikas und seiner Regierung verborgen bleibt.«
    Es war ein Datum, an das sich außerhalb Chiles nur wenige erinnern.

Der gefangene Gesang lebender Frösche
    »Wohin, Mister?«, fragte der Tuk-Tuk-Fahrer. Er hieß Mr. Kop und war berauscht vom Leben, und von Amphetaminen.
    »Zum Flughafen«, sagte Joe. Mr. Kop warf den Motor an und grinste. » Bor pan yang «, sagte er, »bor pan yang . Kein Problem, kein Problem. Sie wünschen, Mr. Kop bringt Sie hin.« Der Motor machte das Tuk-Tuk-Tuk-Geräusch, dem das Gefährt seinen Namen verdankte. Als Mr. Kop die Kupplung kommen ließ und die Straße hinunterbrauste, hielt sich Joe hinten fest, während der Fahrtwind ihm den Kopf kühlte.
    Man hatte versucht, ihn zu erschießen. Warum sollte irgendjemand ihn umbringen wollen?
    Der schlimmste Augenblick war draußen gewesen, unmittelbar bevor er Mr. Kop angehalten hatte. Unschlüssigkeit. Ein irrationaler Teil von ihm wollte über den Mekong nach Siam und dort in einen Zug oder Bus nach Bangkok einsteigen oder gleich ganz in diesem großen leeren Teil des Kontinents verschwinden, der jenseits des Flusses lag: isolierte Dörfer, kleine Felder, wenig Straßen, eine große offene Stille. Es

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