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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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einreden, sie hätten den Krieg im Alleingang gewonnen –«
    »Das Russengeschäft –«
    »Und da ist ein rosa Elefant im Raum! Ein rosa Elefant! Und keiner will zugeben, dass er ihn sieht. Du kennst diesen Ausdruck –«
    »Ich brauche noch einen Drink. Willst du auch einen?«
    »Wie spät ist es?«
    »Nicht zu spät für einen weiteren Drink.«
    »Öl ist nicht das Problem, es ist das –«
    »Ich kann mich aber gar nicht erinnern, wer die Bösen waren. Ist das überhaupt je erklärt worden?«
    »Zehn Tonnen! Und was hat er stattdessen im Auge? Na? Tee . Wie viel verdammten Tee kann man denn trinken ?«
    »Das Imperium aufbauen auf –«
    Die Gespräche wirbelten in Joes Kopf umher, aufgeschnappte Sätze ohne Bedeutung, die Lautstärke zu hoch gedreht, die Stimmen der Verurteilten, Tote, die sich unterhielten, die Flammen, die im Feuer tanzten, und er schleuderte sein Glas gegen die Wand, die Scherben schnitten in seine Haut ein, Blut rann zwischen seinen Fingern, und an der Wand hinterließ er einen blutverschmierten Handabdruck, während die Gespräche um ihn herum verstummten und der Barkeeper hinter dem Tresen hervorkam und mit einer ruhigen, beinahe stimmlosen Stimme sagte: »Vielleicht sollten Sie jetzt gehen, Sir.«
    Joe starrte seine Hand an, machte eine Faust und öffnete sie wieder, sah die winzigen Glasscherben sich wie stille Boote über ein blutiges Meer bewegen. An jenen Orten der Welt, wo Friede zum Preis eines Drinks zu bekommen war, konnte er keine Zuflucht mehr finden. Die Erkenntnis bereitete ihm körperliche Schmerzen. Er schloss die Augen, und als er sie wieder aufschlug, sah er nur das unbewegte Gesicht des Barkeepers, hörte diese leere, ausdruckslose Stimme aus tief liegenden Augen und gebleicht weißer Haut heraus sagen: »Ich glaube, Sie sollten gehen, Sir. Jetzt.«
    Die Gespräche kamen wieder in Gang, die Stimmen lauter, das Denken übertönend. Joe nickte. »Ich glaube, Sie haben recht«, sagte er. Der Barkeeper nickte. »Hier lang, Sir«, sagte er und führte Joe, ihn sanft am Ellbogen festhaltend, zur Tür.

Der eine deutliche Faden
    London war voller Engel, fand Joe. Er wusste nicht, was mit ihm geschah. Die Dunkelheit hinter seinen Augen hämmerte auf ihn ein; im Alkohol fand er keinen Trost; sein Verstand ließ sich einfach nicht beruhigen, tanzte wie die Flammen, die er beobachtet hatte, zwang ihn auf dunkle Pfade, die er nicht betreten wollte. London war eine Straßenkarte, deren Richtungsangaben alles andere als hilfreich waren. Seine Hand pochte. Er krümmte die Finger und fand Befriedigung im Schmerz. Ein Erwachen. Er ging los, bog um die Ecke und befand sich am St. Giles Circus, wo jedoch kein Galgen stand.
    Verkehr kroch an ihm vorbei. Der Circus war ein vierspuriger Stau. Er wartete darauf, dass die Ampel auf Grün wechselte, ging hinüber zum breiten Ende der Charing Cross Road, wo sie mit der Oxford Street zusammentrifft, und fand sich vor dem offenen Eingang zur Londoner U-Bahn wieder.
    Er spähte hinein. Menschen kamen und gingen, schoben sich an ihm vorbei. Treppen führten unter die Erde. Glühbirnen warfen einen gelben Schein auf den Eingang. Weit unten konnte er es rumpeln hören, und Stimmen schienen nach ihm zu rufen, durch das Menschengewühl hindurch zu flüstern, eine Hochzeitsfeier für die Zirkusartisten, ein Sprechgesang durch eine silberne Leinwand hindurch. Er schüttelte den Kopf, der mit einem Mal klar wurde, und er wusste, dass er Angst hatte.
    Er wandte sich ab. Es gab Hinweise, denen er folgen musste, ein Ziel, das in seiner Einfachheit klar war. Den Auftrag erledigen, für den er engagiert worden war. Den Mann finden, den zu finden man ihn engagiert hatte. Ein Detektiv sein. Er verspürte Erleichterung, die Schwärze verschwand, und ihm war schwindelig. Er zündete sich eine Zigarette an, und sie schmeckte ihm, und er wandte sich von dem Eingang ab und ging die Charing Cross Road hinunter, ohne die Bücher in den Schaufenstern zu beachten, und merkte, dass er hungrig war und an dem Tag immer noch nichts gegessen hatte. Er befand sich mitten in einem Labyrinth, brauchte aber nicht jede Biegung zu nehmen: Er musste lediglich dem einen deutlichen Faden folgen, der ihn hinausführen würde. An einem Kiosk auf dem Leicester Square kaufte er sich ein Sandwich, das er auf dem Weg zurück zum Hotel aß. Im Regent Palace fand er Trost in den ruhigen, verlassenen Korridoren mit ihrem schwachen Geruch von zu seltener Nutzung, nahm in einer Kabine eine lange

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