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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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gefährlich. Joe bewegte den Kopf, ein winziges bisschen, vielleicht ja, vielleicht nein, und hörte den Mann seufzen. »Ganz egal«, hörte er den Mann sagen, aber leise, und dann wurde das dunkle Material sanft von seinen Augen weggezogen, und er sah den Rücken des Mannes, als der sich auf die Tür zubewegte, und mit einem leisen Klicken schloss sich die Tür hinter ihm, und dann war das Zimmer wieder dunkel.

Eine kurze Geschichte von Träumen
    Als er wieder wach wurde, war es richtig Morgen, ein Teil davon sogar schon vorbei. Von seinem frühmorgendlichen Besucher gab es keine Spur. Die Hand tat ihm nicht mehr weh. Er beugte sie, und die Finger reagierten, als wären sie nie zerschnitten gewesen. Es ging ihm so gut wie schon eine ganze Weile nicht mehr. Er duschte, zog sich an, ging hinunter in die Halle und grüßte mit einem Nicken Ich-heiße-Simon, der die Rezeption nie zu verlassen schien. Gleich neben dem Hotel fand er ein Café und setzte sich, um Frühstück zu bestellen. Es war ein heißer, feuchter Morgen, doch das störte ihn nicht. Er nahm Spiegeleier mit Würstchen, frisches Brot und Kaffee, und während er aß, dachte er an den vor ihm liegenden Tag.
    Es gab Spuren, die verfolgt, Nachforschungen, die angestellt werden mussten. Es gab Arbeit. Solange sein Essen nicht aufgegessen war, grübelte er nicht – es war eine Erleichterung.
    Als er fertig war, ertappte er sich dabei, wie er die Überreste seines Frühstücks auf dem Teller anstarrte: die Ruinen einer alten Zivilisation, in Eigelb und Würstchenfett geätzt. Wohin sollte er als Erstes gehen? Er verspürte jetzt Unruhe, den Drang, sich zu bewegen. Als er gerade gehen wollte, fiel ein Schatten über ihn, und er blickte auf und sagte: »Nicht schon wieder Sie.« Er bemerkte, dass der Kellner zu ihnen herübersah und sich dann abwandte. Eine Stimme mit einem deutlichen nordamerikanischen Akzent, Kontinentalamerika, sagte: »Warum sind Sie hier?«, meinte diese Frage jedoch in keinem existenziellen Sinn. »Zum Frühstücken«, sagte Joe. »Das ist die wichtigste Mahlzeit des Toten.«
    »Des Tages «, sagte der Mann mit dem grauen Haar, empört klingend, und fügte hinzu: »Und es ist ein Luxus, auf den Sie vielleicht nicht mehr sehr lange Anspruch haben.« »Umso wichtiger also, dass ich ihn mir leiste, solange ich kann«, sagte Joe. Grauhaar setzte sich ihm gegenüber. Seine zwei Begleiter waren nirgendwo zu sehen. »Ihre Muskelmänner heute zu Hause gelassen?«, sagte Joe. Grauhaar lächelte, und Joe fand, dass der Mann, wenn er sich Mühe gab, ein durchaus sympathisches Gesicht hatte. Allerdings vermittelte es den Eindruck, dass es ein Lächeln genauso leicht abstreifen wie aufsetzen konnte, und was dann übrig bliebe, würde nicht annähernd so freundlich sein. »Ich dachte, ich hätte Ihnen gesagt, Sie sollten sich raushalten.«
    »Helfen Sie mir auf die Sprünge.«
    »Das würde Ihnen gar nicht gefallen.«
    Joe holte seine Zigarettenschachtel hervor, schüttelte sie so, dass zwei Zigaretten halb herausrutschten, und hielt sie dem Mann hin. Zu seiner Überraschung nahm er sich eine. Joe nahm die andere, zog sein Feuerzeug heraus, und Grauhaar beugte sich vor, um sich Feuer geben zu lassen. Für einen Moment waren sie so gefangen, zwei Köpfe, einander in Stille und Heimlichkeit zugeneigt, so als schickte einer sich an, dem anderen eine große Erkenntnis mitzuteilen. Dann glühte die Zigarettenspitze des Mannes rot, er zog den Kopf zurück, und Joe zündete sich seine eigene Zigarette an und steckte das Feuerzeug weg. Zwischen ihnen hatte sich, kaum merklich, etwas verändert. »Sie werden«, sagte der Mann, »nicht finden, wonach Sie suchen.«
    »Wonach suche ich denn?«
    Der Mann nickte, so als verdiente die Frage mehr Überlegung, als man vielleicht vermuten würde. Er sagte: »Was wissen Sie über Opium?«
    Das war keine Frage, die Joe erwartet hätte. Er sagte, etwas zitierend, was er am Abend zuvor aufgeschnappt hatte: »Man kann es zur Finanzierung von Kriegen oder zur Heilung der Kranken verwenden.«
    »Und wofür würden Sie sich entscheiden?«
    »Sie sind doch nicht gekommen, um sich mit mir über Opium zu unterhalten.«
    Ohne auf ihn einzugehen, sagte der Mann: »Es kann nicht zur Heilung der Kranken verwendet werden.«
    »Ach?«
    »Es kann nur ihren Schmerz beheben.«
    »Besser, als den Schmerz zu beleben.«
    »Spielen Sie nicht den Klugscheißer«, sagte der Mann.
    »Tut mir leid.« Der Mann nickte, die Entschuldigung annehmend.

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