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Osama (German Edition)

Osama (German Edition)

Titel: Osama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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Er gab dem Kellner ein Zeichen. »Zwei Kaffee«, sagte er. Joe schüttelte den Kopf. Warum entschuldigte er sich?
    »Achtzehnhundertfünf hat Sertürner das Morphin isoliert«, sagte der Mann. »Benannt nach Morpheus, dem Gott der Träume. Achtzehnhundertzweiunddreißig hat Robiquet das Codein isoliert. Heroin wurde hier in London zum ersten Mal synthetisiert, achtzehnhundertvierundsiebzig von Wright. Können Sie mir so weit folgen?«
    »Klar …«
    »Wurde allerdings erst populär, als Bayer es achtzehnhundertsiebenundneunzig erneut synthetisierte. Heroin vom deutschen Heroisch . Fühlen Sie sich heroisch, Joe?«
    »Nur, wenn ich dafür bezahlt werde.«
    Der Mann lächelte und blies Rauch aus. Ihr Kaffee kam, und er gab einen Würfel Zucker hinein und rührte um. »Nach dem Ersten Weltkrieg hat Bayer einen Teil seiner Markenrechte an Heroin verloren«, sagte er. »Nebenbei bemerkt.«
    »Verstehe.«
    »Joe«, sagte der grauhaarige Mann. »Ich möchte, dass Sie eins verstehen. Opium und seine Derivate sind immer noch, selbst nach mehr als dreitausend Jahren ununterbrochenem Gebrauch, die bekanntesten wissenschaftlich belegten Schmerzmittel. Punkt. Der Schlafmohn ist die nützlichste Pflanze auf der ganzen Welt .«
    »Was wollen Sie?«, sagte Joe. »Mir war nicht klar, dass Sie hergekommen sind, um mir eine Lektion in Botanik zu erteilen.«
    Der grauhaarige Mann schüttelte den Kopf. »Es gibt eine Menge Dinge, die Ihnen nicht klar sind«, sagte er. Das ließ Joe so stehen.
    »In unserem eigenen Bürgerkrieg«, sagte der grauhaarige Mann, »galt Opium als Arzneimittel Gottes. Unsere Sanitäter haben immer noch Morphium dabei, um es schwer verwundeten Soldaten zu spritzen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nach wie vor der größte Verbraucher von verschreibungspflichtigen Medikamenten auf Opiumbasis.«
    »Dann nehm ich mal an, dass ihr alle euch ziemlich für Opium interessiert«, sagte Joe. Wieder überging der Mann seine Bemerkung. »Die Welt, unsere Welt, ist sicher«, sagte er. »Sicher und gesund. Opium kommt aus Asien, wird von deutschen, amerikanischen und britischen Firmen zu Medikamenten verarbeitet und lindert Leiden. Der entsprechende Gewinn wird versteuert, was der Staatsführung zugutekommt. Niemand, Joe, sponsert mit Opium einen Krieg.«
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen folgen kann«, sagte Joe. Der Mann sagte: »Dennoch stellt es, was einigermaßen erstaunlich ist, ein Problem für uns dar.«
    »So ein Pech«, sagte Joe. Der Mann lächelte, doch in diesem Ausdruck war nichts Freundliches mehr. Er sagte: »Träumen Sie, Joe?«
    Der Mann überraschte Joe immer wieder. Er dachte an seine mit Schwarz erfüllten Nächte, nahm einen Schluck von seinem Kaffee; antwortete nicht. »In meinem Hirn schien sich plötzlich ein Theater geöffnet und erleuchtet zu haben«, sagte der Mann, »das mir nächtliche Schauspiele von überirdischer Pracht darbot. Das Gefühl für Raum und am Ende auch das für Zeit wurden beide mächtig erregt. De Quincey.«
    »Ein Freund von Ihnen?«
    »Joe«, sagte der Mann, »hören Sie mir gut zu, ich werde es nämlich nicht noch einmal sagen. Was Sie wollen – was Sie tun würden –, ist, eine Tür zu öffnen, die wir sehr gerne geschlossen halten möchten. Fest verriegelt, um genau zu sein. Sie müssen verstehen, dass ich keineswegs mitleidlos bin. Es ist nicht einfach für Flüchtlinge. Trotzdem müssen Flüchtlinge die heiligen Ideale ihrer Gastgeber achten. Verstehen Sie?«
    Joe verstand nicht. Nickte aber. Der Mann seufzte. »Gut«, sagte er. Und: »Ein endgültiges Vergessen ist dem menschlichen Geist nicht möglich«, sagte er. Dabei hatte er wieder eine Intonation wie beim Vortragen eines auswendig gelernten Zitats. »Tausend Umstände werden und mögen sich wie ein Schleier zwischen unser gegenwärtiges Bewusstsein und die geheimen Inschriften in unserem Kopf legen, aber –«
    »Ja?«
    »Die Inschrift bleibt für immer«, sagte der grauhaarige Mann.

TEIL VIER
    In Casablanca

Die geheimen Inschriften im Kopf
    Ein Hamlet in voller Kostümierung spazierte, einen Monolog deklamierend, die Frith Street hinunter. Ein besonders guter Hamlet war er für Joes Empfinden nicht. Als er an Joe vorbeiging, rief er gerade aus: »Sterben – schlafen! Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegt’s!«, und Joe meinte, noch nie einen Hamlet mit so vielen Ausrufezeichen gehört zu haben. Dieser hier verdarb es vollends, indem er die nächste Zeile mit einem Fragezeichen versah:

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